Der Sternenturm

William R. Forstchen, Der Sternenturm, Rezension, Thomas Harbach
William R. Forstchen

In seinem Nachwort zu „Der Sternenturm“ nimmt William Forstchen auch Bezug auf Arthur C. Clarkes wegweisenden „Fahrstuhl zu den Sternen“, der nicht nur als eine Art Inspiration gedient hat, sondern vor allem die Grundlage einer Art literarischen Remakes in der Form des vorliegenden Romans ist.

Der technische Fortschritt der letzten 35 Jahre zwingt den Autoren aber positiv dazu, das Konzept nicht nur technisch zu überarbeiten, sondern andere Komponente wie die globale Erwärmung, extreme Wetterlagen und schließlich auch die Opposition durch in erster Linie arabische Interesse einzubauen. Interessant ist dabei, das ausgerechnet in diesem Punkt „Der Sternenturm“ veraltet erscheint. Basierend auf den Warnungen und dunklen Prophezeiungen der Jahre 2012/ 2013 mit einem stetig steigenden Ölpreis und einer generellen Verknappung des schwarzen Goldes wirkt bei einer Überproduktion, dem umstrittenen Fracking oder dem brutalen Wettbewerb auf dem Ölsektor mit Ölpreisen stetig fallend diese Idee überholt und antiquiert. In wirtschaftlicher Hinsicht wiederholt Forstchen alte Thesen und versucht durch die Bank den amerikanischen Pioniergeist zu aktivieren. Wenn der junge Jason als Autor verschiedener Reden des nach Bill Gates nur farbig gestalteten Franklins immer wieder auf die amerikanischen Pioniertaten vom Bau der transkontinentalen Eisenbahn über die Brooklyn Bridge bis schließlich dem politisch motivierten Flug zum Mond immer wieder Amerika in den Mittelpunkt der Geschichte stellt, dann wirkt das Buch zu patriotisch und in einer Zeit der globalen Konzerninteressen vor allem erstaunlich antiquiert. Wenn Franklin nach einer Investition von mehr als 50 Milliarden Dollar nur noch eine Milliarde bleibt, während andere Menschen ihr Geld verloren haben, stellt sich unwillkürlich die Frage, wie Franklin ohne nach Verkauf seiner wichtigsten Beteiligungen/ direkten Aktienpakete an den Grundpfeilern seiner Existenz dieses Kunststück überhaupt hinbekommen hat. Zwar wird in der Vergangenheit erwähnt, dass Franklin immer wieder Unternehmensbeteiligungen verkauft und auf neue Pferde gesetzt hat, aber das Leiden des reichen Mannes aus dem Ghetto mit einer einzigartigen Vision wirkt zu aufgesetzt. Wenn schließlich Hilfe aus der unwahrscheinlichsten Ecke kommt und Astronauten weinend angesichts der Opfer und des Potentials dastehen, dann ist die amerikanische Frontiermentalität perfekt. Interessant ist auch, dass Forstchen einen gewaltigen Denkfehler in wirtschaftlicher Hinsicht macht. Die gegenläufigen Interessen sollen aus dem Nahen Osten kommen, die Attentäter vielleicht sogar aus Nordkorea, weil die Ölmafia um ihre Zukunft fürchtet. Bei einem stetig fallenden Ölpreis wäre die Förderung in den USA schon lange vor Staaten wie Saudi Arabien nicht mehr profitabel, so dass deren Wirtschaft vor allem in Texas auf dem Boden liegen müsste und die Opposition aus dem eigenen Land käme. Da Forstchens Amerika aber für eine saubere Zukunft inklusiv der Idee einer natürlich gerechten Weltpolizei besteht und nur mit Scheuklappen handelnde Senatoren im Vergleich zu einer aufgeschlossenen Präsidentin den Fortschritt und die Vorreiterrolle der USA im Wege stehen, wirken diese politischen Aspekte wie Bremsklötze in einem Roman, der erstaunlicherweise trotz aller Klischees auf der emotional persönlichen Ebene funktioniert, während er an dem Projekt des Sternenturms, der Erhabenheit und schließlich auch der „Größe“ des Gebäudes – mehr als 65.000 Kilometer wird der Turm inklusiv des Gegengewichts ins All ragen – vielleicht auch aufgrund der technisch distanziert vorgetragenen Details scheitert.

Alles beginnt mit einer Liebesgeschichte und einer Vision. Gunther Rothenberg ist nicht nur ein visionärer Wissenschaftler bei der NASA, sondern vielleicht auch ein Deutscher, der sich gleich den USA im Kampf gegen die Nazis verschrieben hat. Der aus Peenemünde die Dokumente vor dem Einmarsch der Russen gestohlen, gleichzeitig später aber auch mit Wernher von Braun – erstaunlich weiß gewaschen – an den ersten Raketenversuchen gearbeitet hat. Er liebt es, seine jungen Studenten zu provozieren und dadurch zu Höchstleistungen anzuspornen. So geschieht es auch mit dem jungen Gary Morgan, dem Sohn eines früh verstorbenen Marinefliegers und der ukrainischen Austauschstudenten Eva Petrenko, welche für ihre Masterarbeit die Idee eines Sternenturms basierend auf den Ideen eines längst vergessenen russischen Science Fiction Autoren mitbringt. Forstchens Charaktere kennen Arthur C. Clarkes „Fahrstuhl zu den Sternen“. Vielleicht ist dieser Brückenschlag zwischen reiner Science Fiction und Forstchen Vision von Science Fact der interessanteste Aspekt des ganzen Romans. Sich anfänglich gegenseitig zu Höchstleistungen durch ihre sehr unterschiedlichen Ansichten steigernd entwickeln sie ein Konzept für einen solchen Sternenturm basierend auf Nanotechniken, die noch entwickelt werden müssen. Der Milliardenschwere Franklin sieht in dem Turm eine Chance, der Menschheit im Allgemeinen und Amerika im Besonderen trotz oder vielleicht auch wegen der Abneigung wieder eine positive Zukunft zu geben. Während insbesondere Professor Rothenberg erstaunlich blass bleibt und eine Reihe von intellektuellen Klischees in Verbundenheit zu Andeutungen seiner Kriegsvergangenheit aneinanderreiht, sind es Gary Morgan und Eva Petrenko, die anfänglich herausragen. Während Gary Morgan der junge arrogante und selbst verliebte Amerikaner ist, vermischt die Ukrainerin im Austauschprogramm allerdings der Russen zu ihrem eigenen Widerwillen eine stoische Dickköpfigkeit, eine positive Haltung der Menschheit gegenüber und vor allem einen wachen, auf die Schwachstellen genauso hinweisenden wie die Stärken der Grundidee fördernden Geist. Sie ist ein ungewöhnliches wie belebendes Element. Das sie nicht nur intelligent, sondern auch attraktiv ist, dient als Grundlage der Liebesgeschichte. Mit der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter rückt sie als Charakter leider zu sehr in den Schatten. Es wird immer wieder betont, dass sie weiterhin an den Projekt mitarbeitet, aber ihre durchaus scharfen Kommentare, ihr Auge für ungewöhnliche Wege wird durch die erdrückende Dominanz ihrer Tochter – ein intellektuelles Superkind, das ohne Probleme fliegen lernt, ins All als Kommandantin der ersten Mission vorstößt und schließlich auch den Wunsch einiger Menschen erfüllen wird, welche den unumstößlichen Erfolg des Sternenturms nicht mehr erleben durften –  Victoria unnötig zur Seite gerückt. Wenn sie gleich zu Beginn des Buches einen Senator verbal in die Ecke drängt, ahnt der Leser, was noch auf ihn zukommt.

Selbst der Multimilliardär aus dem Ghetto Franklin wird quasi erdrückt. Dabei ist er mit seiner arroganten, aber auch nachvollziehbaren Pioniermentalität nicht nur die treibende Kraft des Buches, sondern vor allem das wichtige Element, das die Elfenbeinwelt der Wissenschaftler relativiert und die Brücke zu den teilweise angesichts der kleinen Details überforderten Leser schlägt. Während Gary Morgen schließlich eine Parkinson Erkrankung im Weg steht, dominiert wie angedeutet dessen Tochter zu sehr. Selbst die Liebesgeschichte mit dem für Franklin Reden schreibenden Jason läuft nur mit einem Schulterzucken aus. Natürlich ist es wichtig, ein derartig ambitioniertes Projekt in Romanform meistens an einer Familie aufzuhängen, um die Bindung zum Leser zu festigen, aber gänzlich zufrieden stellend ist diese Vorgehensweise nicht. Dazu wirken seine Figuren zu konstruiert und im Grunde weiß der Leser in einigen zwischenmenschlich relevanten Szenen, dass unter Opfern – hier mischt Forstchen Selbstopferungen für das Ziel des Projekts und Unfälle in zufrieden stellender Reihenfolge miteinander – das Projekt natürlich abschließend unter dem amerikanischen Banner gelingen kann.

Zumindest ist Forstchen klug genug, globale Aspekte einzubauen. So entwickelt ein Japaner die Nanofasern, welche für den Bau des Turms relevant sind. In einer kritischen Phase des Projekts verzichtet er auf den Verkauf des inzwischen fertig gestellten Materials an die natürlich ihren eigenen Turm bauenden Chinesen und stellt es als Darlehen Franklin zur Verfügung. Die Russen attackieren meistens verbal nur das Projekt, die Chinesen laufen hinterher. Eine ominöse Macht greift den Turm an und entschwindet dann wieder. Ein zweiter Versuch wird im Keim erstickt. Die tropischen Inseln im Pazifik – Kiribati – ermöglichen den Bau des ersten Turms, weil er zwar Teile ihrer Schönheit vernichtet, aber dem Rest des vom Untergang bedrohten Inselreiches eine Existenz ermöglicht, die anders nicht mehr erreichbar gewesen ist. Schließlich dient der Turm der Verminderung des Kohlenmonoxidausstoßes und damit einer grünen Zukunft.

„Der Sternenturm“ ist kein schlechtes Buch, aber es ist vor allem kein spannender Roman. Wissenschaftlich exakt durchdacht mit Hilfe der NASA; die angeblich diese Idee auch mit angestoßen hat, setzt sich Forstchen auf Grundlage bestehender und in naher Zukunft entwickelter oder zu entwickelnder Technik mit der Möglichkeit auseinander, einen Sternenturm nicht nur zu bauen, sondern durch die Nutzung von Sonnenenergie sogar positiv zu vermarkten. Der Leser wird mit der Machbarkeit dieses Projektes nicht nur konfrontiert, sondern Forstchen macht überdeutlich, das die ersten wichtigen Schritte nur ein amerikanischer Privatunternehmer ermöglichen kann. Immer wieder werden ausreichend spannende und intensive Sequenzen in die Handlung eingebaut, um dem ruhig, distanzierten und ein wenig zu geplant erscheinenden Roman ein ausreichendes Momentum, Schwung für die nächste Etappe zu den Sternen zu geben. Zumindest sind seine Figuren trotz oder vielleicht auch wegen der Opportunitäten – für einen privaten Flug in den erdnahen Orbit werden plötzlich drei Briten rechtzeitig krank, um den Morgans diese Gelegenheit zu ermöglichen – nicht unbedingt charismatisch, aber mit vollem Herzen dabei. Im Vergleich zu Clarkes ebenfalls nicht perfekten „Fahrstuhl zu den Sternen“ wird der „Sternenturm“ mehr und mehr zu einem bestimmenden, passiven, aber auch herausfordernden Charakter, zu einem Fanal einer besseren von Amerika zumindest aus der ersten Reihe gelenkten Entwicklung. Dieser Patriotismus wird einigen Lesern insbesondere außerhalb der USA negativ aufstoßen, aber Franklin hat darauf auch eine Antwort. Wer das Geld gibt, bestimmt die Flagge am Turm und einen derartigen Reichtum kann man momentan nachvollziehbar immer noch in einer Lebenszeit in Silicon Valley anhäufen.  

Auflage:Deutsche Erstausgabe
Buchseiten:576 Seiten
Ausführung:Paperback, Umschlag in Festa-Lederoptik
Format:20 x 12,5 cm
ISBN:978-3-86552-375-4
Originaltitel:Pillar to the Sky
Übersetzung von:Alexander Rösch