Frl. Schmidt und der Heilige Berg

Wilko Müller jr.

Mit „Fräulein Schmidt und der heilige Berg“ liegt inzwischen das sechste längere Abenteuer zusätzlich zu dergesondert veröffentlichten Kurzgeschichte um die Göttin Frl. Schmidt und ihren willigen Helfer, den Antiquar, aus der Feder Wilko Müllers vor. Es ist gleichzeitig auch der umfangtechnisch bislang längste Band der Reihe. Betrachtet der Leser kritisch alle sechs Geschichten, dann zeichnet ein inhaltliches Problem langsam ab. Immer wieder geht es um die Errettung der Welt vor entweder mystischen oder wie im letzten Band auch außerirdischen Kräften. Dabei greift Fräulein Schmidt mal wie im vorliegenden Roman überwiegend alleine mit ihrem kleinen Team ein oder die lethargisch phlegmatischen Götter entscheiden sich wie in „Fräulein Schmidt und das Vermächtnis des großen Jaguars“ zu einer konzertierten Aktion allerdings gegen eine Bedrohung von außerhalb der Erde. Auch in „Fräulein Schmidt und der heilige Berg“ geht es abschließend um die Rettung der Welt. Nur zieht es das Team dieses Mal in das von China besetzte und überwiegend isolierte Tibet. Es wäre schön, wenn Wilko Müller jr. mit einem seiner nächsten „Frl. Schmidt“ Abenteuer dieses inzwischen grundlegend stereotype Handlungsmuster durchbrechen und vielleicht einen gänzlich anderen Plot präsentieren würde. Ärger im Götterreich, der nicht die menschliche Existenz bedroht. Oder wie der sehr offene Epilog andeutet, eine Gefährdung der Menschen durch einen Hillary Clinton Klon als amerikanische Präsidentin, die sich gegen Trump durchgesetzt hat und sehr stark überfordert erscheint.

Hinsichtlich der Grundstruktur arbeitet Wilko Müller auch nach einem bekannten Muster. Die Reise ist interessanter als das Ankommen. Zumindest hat der Autor einen Überraschungspfeil hinsichtlich der „Identität“ der Schurken im Köcher. Sie hätten aber ein wenig exzentrischer und zynischer an den finnischen Science Fiction Streifen „Iron Sky“ erinnernd charakterisiert werden müssen. Überraschend ist wieder, wie schnell Fräulein Schmidt vor Ort mit dem grundlegenden Problem fertig wird. Wer zum Querlesen der Seiten neigt, droht es zu überlesen. Auch im letzten „Frl. Schmidt“ Abenteuer hat Wilko Müller eine zu pragmatische und zu abrupte Lösung vor allem in Hinblick auf den ganzen Roman präsentiert.  Diese Anmerkungen sollen kein Plädoyer sein, eine längere Geschichte unnötig in die Länge zu ziehen, aber hinsichtlich des finalen Showdowns wären etwas mehr Dynamik, etwas mehr Spannung sowie eine umfangreichere Konfrontation hilfreich gewesen.  

In einzelnen Abschnitten dieses unabhängig von den beiden grundlegenden „Schwächen“ unterhaltsam zu lesenden Romans geht der Autor schon einige neuen Wege und baut deutlich offensiver als in den anderen „Frl. Schmidt“ Romanen diese zwischenmenschliche Gefährdungskomponente ein.

Zu Beginn fasst der Autor für Neueinsteiger wichtige Ereignisse aus den letzten „Frl. Schmidt“ Bücher vor allem aus unterschiedlichen, aber ausschließlich subjektiven Perspektiven noch einmal zusammen. Auch langjährige Fans können sich noch einmal die unterschiedlichen Aktionen Revue passieren lassen.  Der Mensch stört anscheinend mit seinen Experimenten den Frieden unter dem heiligen, unbestiegenen Berg im Himalaya. So wehren sich die Trolle hinsichtlich eines amerikanischen Atomkraftwerkes, das auf ihren Kraftlinien – den sogenannten Ley- Linien – errichtet worden ist, in dem sie die beiden Kühltürme einstürzen lassen. Die amerikanische Präsidentin muss aufgrund der ungeklärten Hintergründe sogar von einem terroristischen Anschlag ausgehen. Ausgangspunkt dieses potentiellen Konfliktes sind die unterirdischen Atombombenversuche gewesen, welche den unter dem Himalaya lebenden Wesen vor Augen führte,  das die Menschen  nicht mehr eine potentielle, sondern reale Gefahr darstellen.  Geschichte und Mythen werden in dieser Phantasiereichen Spekulation unauffällig wie untrennbar miteinander verbunden.  

 Die weitere Aktivierung dieser Kraftlinien durch die lange Zeit schlummerten, bislang in den mystischen Bereich verwiesenen Kräfte könnte für die Menschheit entweder direkt oder indirekt durch eine Verschärfung der politischen Konflikte ihr Ende bedeuten.  Ein Mönch sucht deswegen Frl. Schmidt in Deutschland auf und bittet sie um Hilfe.  Geschickt informiert Wilko Müller seine Leser über den Mythos Shambhala, das unterirdische Reich und das eher in den Legenden/  Märchen dort lebende Volk. An einer anderen Stelle baut er zusätzliche die Jagd der Nazis nach ihren arischen Wurzeln aus in Tibet ein. Die ganze Reihe von Romanen zeichnet sich dadurch aus, dass Wilko Müller seine sorgfältigen Recherchen auf eine ausgesprochen angenehme Art und Weise vermittelt. Dabei dient sein älterer, aber inzwischen verjüngter Antiquar fast als idealer Vermittler. Viele Jahre seines Lebens verbrachte er in der wenig Gewinn bringenden Isolation der klassischen Bücherwelt, bevor ihn seine Angestellte zu einem regelmäßig agierenden Jetsetter und Weltenretter macht. Nicht nur während der Exposition, sondern auch hinsichtlich der Reisebeschreibungen und Strapazen vermittelt der Autor in dieser modernen Welt einen positiv gesprochen den Abenteuerbüchern vieler früherer Jahrzehnte entnommenen exotischen Flair.   Dabei sind die Fakten gut zusammengestellt. So spielt Reinhold Messner eine kleine Nebenrolle. Er hatte Mitte der achtziger Jahre eine Genehmigung zur Besteigung des Heiligen Bergs Kailash erhalten und anschließend drauf verzichtet. Seit dieser Zeit ist keine Genehmigung mehr erteilt worden. Die beschwerliche Reise wird dank der modernen Techniken wie Flugzeugen und Fahrzeugen deutlich einfacher, was den letzten Abschnitt der Reise unabhängig vom zeitlichen Druck unauffälliger und weniger exotischer erscheinen lässt. Ein paar Anstrengungen mehr hätten dem Plot gut getan.

Inhaltlich bewegt Wilko Müller nicht nur Frl. Schmidt und Wichowski sowie als Begleitung Anne nach Indien, auch das amerikanische Militär in Form von Notfallhilfe. Da werden schon einige Dienstwege gebogen. Aber es sind die kleineren aus Füllmaterial bestehenden Ablenkungsmanöver. Der Roman lebt vor allem auf, wenn die ägyptische Göttin Isis den kleinen Buchladen aufsucht und nicht unbedingt erkannt werden muss. Oder wenn Frl. Schmidt deutlich genervt ihre Kräfte einsetzt, um schneller zum Ziel zu gelangen oder die gastfreundlichen Mönche schon wissen, wenn sie in ihren heiligen Hallen beherbergen.

Wilko Müllers „Götter“ sind nicht menschlich. Viel mehr ignorieren sie inzwischen die Menschen und sind in ihrer Existenz nicht auf deren Glauben angewiesen. Zwischen ihrem übernatürlichem Krafteinsatz, der in diesem Band sich auf zwei Szenen reduziert,  wirken sie aber teilweise ausgesprochen menschlich mit ihren zahllosen Schwächen, Egoproblemen und Eitelkeiten. Selbst Frl. Schmidt versucht sich immer wieder in diese Gesellschaft zu integrieren, was spätestens seit dem ersten im Jahre 2012 spielenden Abenteuer grundsätzlich als Hüterin der schwer zu „kontrollierenden“ Menschheit eine alljährliche Herausforderung darstellt.

Im Vergleich zu den letzten beiden Romanen wirken die Figuren auch wieder lebendiger, eckiger, kantiger, auch zynischer. Die Dialoge als Ganzes betrachtet sind nicht nur weiterhin sehr unterhaltsam verfasst worden, die flotten Spitzen - das Geschehen kommentierend - sind zurück.

Wie eingangs erwähnt kann die immer wieder gleiche Rettung der Menschheit vor übernatürlichen Gefahren als stereotypes oder handlungstechnisch elementares Grundmuster angesehen werden. Die Qualität des Romans wird je nach Ansicht dadurch beeinflusst. Schön wäre es, wenn Wilko Müller seine finalen Auseinandersetzungen etwas ausführlicher beschreibt. Nicht zum ersten Mal in dieser Reihe hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn der Autor froh ist, die Geschichte hinter sich zu bringen. Das ist aber bei allen sechs Romanen auch schade, denn sie gehören nicht zuletzt dank ihres positiv gesprochenen historisch kulturell belehrenden Inhalts zu den unterhaltsamsten Werken der göttlichen Urban Fantasy aus Deutschland.         

Phantastische Erzählung
Taschenbuch, 199 Seiten
Edition SOLAR-X 2016
ISBN 978-3-945713-20-4

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