Atalanta Band 4

Robert Kraft
Wie stark Robert Kraft unter dem Druck teilweise auch gelitten hat, pünktlich immer wieder nicht nur Fortsetzungen zu produzieren, sondern die Romane auf einen für den Verlag und damit den Autor auch lukrativen Umfang durch die Anzahl der einzelnen Auslieferungen zu bringen, lässt sich am ehesten an diesem teilweise verblüffenden Mittelteil – der vierte Band umfasst die Lieferungen 37 bis 48 – erkennen. Die Handlung der letzten Teile wird nicht fortgesetzt, sondern mit dem „Holodeck“ des Kaiserreiches eine der Nebenfiguren in die Urzeit versetzt, wo er quasi den Abenteuerstoffen Haggards folgend mit seiner Donnerbüchse den Steinzeitmenschen gefährliche menschenfressende Löwen vom Leib hält. Auch wenn diese exotische Episode befremdlich erscheint, überraschen die kritischen Zwischentöne, denn der weiße „Zeitreisende“ wird von den angeblich so primitiven Steinzeitmenschen anfänglich manipuliert, ihnen mehr Löwen zu schießen, da sie deren Felle gegen das weiße Gold der Erde eintauschen können. Der nächste folgerichtige Schritt wäre die Ausrottung des das Salz hütenden Stammes und die entsprechende Übernahme deren Handelsaktivitäten. Ein Schelm, der nicht an die teilweise britische Eroberungspolitik gegenüber den Kolonien denkt. Als dann auch noch die Kelten aufmarschieren, ist diese Fantasy- Episode perfekt, aber auch unblutig zu Ende geführt worden. Es ist nicht die einzige Exkursion in der vorliegenden Sammlung. Zum Teil greift Robert Kraft auf ausführliche Zitate hinsichtlich der Traumdeutung zurück, die er selbst unter einem Pseudonym geschrieben hat. An einer anderen Stelle muss Atalanta ganze Abschnitte philosophischer Thesen lesen, die nicht etwa zusammengefasst, sondern in Gänze rezitiert werden. Interessant ist aber die anscheinend auf Krafts bekannten Schiffsnovellen basierende Episode um die Spaltameisen. Er schlägt den Bogen zur dystopischen Science Fiction, in dem die künstlich manipulierten Ameisen durch eine unkontrollierte, aber mathematisch hoch zu rechnende Spaltung/ Vermehrung die Kontrolle über die Erde übernehmen und die Menschen wie auch ihre Nahrungsgrundlagen rücksichtslos ausrotten. Großartig geschrieben mit einem zynischen Unterton gipfelt diese Weltuntergangsgeschichte inklusiv entsprechender Hinweise auf den Zauberlehrling auf dem Gipfel eines Berges, wo der „Held“ und „Ich- Erzähler“ in letzter Instanz die Menschheit mit einem gebratenen letzten Maulwurf als Nahrung und einer Fliegenklatsche zu verteidigen sucht. Das Ende ist eher pragmatisch und entspricht dem damaligen Zeitgeist. Um es unhöflich zu sagen, hat Robert Kraft den billigsten Ausweg aus dieser nihilistischen Geschichte gesucht und gefunden. Aber stilistisch ist der Text intensiv und ragt vor allem aus den teilweise sehr geschwätzigen Dialogen anderer Abschnitte dieses uneinheitlichen „Atalanta“ Teils aber sehr positiv heraus.
Nach diesen beiden Abschweifungen kehrt die Handlung zu Atalanta, ihrem Mann und vor allem ihrer gemeinsamen Tochter zurück. In seinem Nachwort weißt Heinz J. Galle auf die Ähnlichkeiten zwischen „Sun Koh“ und teilweise „Jan Mayen“ sowie dem vorliegenden Kolportageroman hin. Atalanta findet ein Schiff mit 3500 Leichen einer seltsamen Sekte an Bord, die sich anscheinend selbst getötet haben, um von den unter der Erde lebenden Lemurer Nachkommen – ein Schwenk zum untergegangenen Kontinent Atlantis sei erlaubt – von Berg geholt und verspeist zu werden. Atalanta will das zu lassen und beginnt mit ihren Mannen inklusiv der entsprechenden Geheimwaffe tausende von Lemurier zu töten, die aus dem Erdinnern ihrem Priester folgend die Körper bergen wollen. Alleine diese Idee erscheinen grotesk, zumal Atalanta kein Problem damit hat, das die Lemurier ihre eigenen Toten bergen und verspeisen dürfen. Es kommt zu einem brüchigen Frieden und vor allem einem Schachspiel um die Insel und die freien Zugangsrechte. Robert Kraft macht sich einen Spaß daraus, die verschiedenen taktischen Spielarten aufzuzeigen. Während die Priester als Konsortium entscheiden dürfen, kämpft Atalanta alleine. Die Regeln werden immer wieder ein wenig angepasst, bis die Indianerin mit einem Trick eher einen fragwürdigen Vergleich erzwingt. Die Priester schenken ihr den ganzen Kontinent inklusiv aller Höhlen und Gänge, die sie aufbrechen/ erreichen können. Atalanta will sich damit zumindest nicht zufrieden geben und versucht mehrmals, in die von den sich immer weiter zurückziehenden Unterweltlern zugemauerten Gänge einzudringen. Auf der anderen Seite findet sie ausreichend Saatgut an Bord des Schiffes der Toten – angeblich haben sie es Atalanta quasi als Opfergabe gebracht, bevor sie verstorben sind -, um mit ihrem Mann und ihrer Crew auf der einsamen, aber fruchtbaren Insel eine neue Kolonie zugründen, nachdem sie ja die Umgebung um den Sklavensee verloren hat. Die Kultur der Lemurier lässt eine Reihe von Fragen offen, zumal Atalanta auch nicht immer fair mit ihnen umgeht. Die geistige Überlegenheit der Indianerin wird aber durch den Gemeinschaftssinn der Priester relativiert, die sie bei einem Schachspiel durchaus in die Enge zwingen. Aber bevor der Leser sich an diese neue „Welt“ – Robert Kraft hat in einigen kürzeren Texten immer wieder den Pioniergeist der von der Zivilisation enttäuschenden Menschen beschrieben und fügt höchstens ein wenig kindlichen/ kindischen Humor hinzu – wird wieder einer der wichtigsten Protagonisten entführt. Ein durchlaufendes Thema, wobei alternierend entweder Atalanta oder ihr Mann, bislang aber nicht das gemeinsame Kind von fremden Mächten entführt werden. Mit diesem Kidnapping durch einen Flüchtling an Bord seines Luftschiffes nimmt der Plot aber deutlich an Fahrt auf und ein in den letzten Lieferungen vernachlässigter Aspekt tritt wieder in den Vordergrund. Mit dem Erfinder Mephistopheles – eine Anspielung auf Goethe und eine Figur, die auch in den Abenteuern des Detektivs Nobody eine Rolle spielt - manifestiert sich wieder ihr technokratisches Gewissen, das gegen jede Moral neben der immer wieder defekten Camera Obscura für einige andere Geheimwaffen sorgen soll. Atalanta soll an Bord des Luftschiffes sehr gut aufgehoben als Schutz vor den Nachstellungen einer bislang nicht in Erscheinung getretenen Geheimgesellschaft dienen, wobei der Entführer sich selbst „Herrscher der Welt nennt und an einige Charaktere aus Jules Vernes Romanen erinnert. Atalanta gelingt es aber, ihre Gefährten an Bord zu bringen und gemeinsam reisen sie anscheinend auf der Flucht vor der Geheimgesellschaft mit dem schwer einzuschätzenden Schiffskommandanten in Richtung Indien, wo sich der Kreis zu Robert Krafts „Im Kampf um die indische Kaiserkrone“ teilweise zu schließen scheint. Der Indienabstecher dient aber eher als Überleitung zu einer finalen Expedition in Richtung Nordpol. Ebenfalls aus Jules Vernes Büchern scheint der Kapitän Nowhere entlehnt worden zu sein. Nur das dieser neben dem U- Bot auch das Luftschiff nutzt. Es ist eine der zahlreichen Figuren, die Robert Kraft in diesem Kolportageroman einführt, aber leider nicht weiter extrapoliert. Mit der kräftigen Farbigen und späteren Anführerin der Haraniwakas wird ein Charakter aus einer der früheren Lieferungen wiederbelebt. In diesem Abschnitt – bis auf das zu pragmatische Ende – findet der aufmerksam durch den Text gehende Leser nicht nur eine kontinuierlich stärker werdende Kritik an Großbritannien, die in blankem Zynismus gipfelt, sondern einen erstaunlich modernen Abstecher in die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Frauen gründen in einem abgeschiedenen Tal eine Republik ohne Männer und kommen ausgesprochen gut klar. Die eingeschleuste Spionin soll in erster Linie eine Möglichkeit finden, um das reichhaltige Diamantenvorkommen für natürlich männliche Eroberer quasi aufzuschließen. Dieser Handlungsverlauf wirkt klischeehaft, ist aber nicht nur bei Robert Kraft, sondern auch Paul Alfred Müller zu finden. Dieser Lieferungsband endet mit der geheimnisvollen Sekte, die in Atalanta eine zukünftige Herrin der Welt sehen, und ihre eher mystischen Kräfte effektiv einsetzen, mit einem auf den ersten Blick schockierenden Cliffhanger.
Während die antibritischen Töne im Verlauf der einzelnen Lieferungen immer schärfer werden, philosophiert Robert Kraft über die mit deutschen Wurzeln ausgestatteten Wikinger, die im ewigen Eis in erster Linie die Welt erkundend ihr Leben gelassen haben. Der vaterländische Ton ist noch nicht so stark ausgeprägt wie bei einigen anderen phantastischen Autoren dieser Epoche oder im Vergleich zu manchem Spätwerk von Jules Verne die französische Fahne hochhaltend, aber es fehlt der erstaunlich globale Ansatz der ersten Lieferungen, in denen auch Engländer positiv sich in Szene setzen konnten.
Der zweite Anteil der Lieferungsromane besteht aus einer Reihe vor allem abenteuerlichen Episoden, in welche Robert Kraft immer wieder fast beiläufig einzelne technische Erfindungen einstreut. Im Gegensatz zu Jules Verne hält sich Robert Kraft nicht unbedingt mit ausführlichen Beschreibungen auf. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Forschung oder der Schilderung exotischer Plätze – immerhin neben dem magnetischen Nordpol inklusiv einer gigantischen Höhle auch Indien, sowie das untergegangene Atlantis – wirkt der Autor aber wie später Paul Alfred Müller nicht nur aufklärend, sondern auch belehrend. Interessant ist, dass Kraft aber auch mit dem Image des Kolportageautoren kokettiert. So begleitet er selbst ironisch das Ende eines Schurken, der wie später in den James Bond Filmen unmittelbar vor seinem Dahinscheiden ganze Monologe von sich gibt, aber die wichtigsten Informationen verschweigt. Natürlich stammelt auch Robert Krafts sterbender Schurke nur wenige nützliche Informationen.
Heinz J. Galle begibt sich in seinem Nachwort auf ein brüchiges Eis. Er bezeichnet Robert Kraft als Paul Alfred Müllers Schattenmann bzw. als Ideensteinbruch für die beiden Serien „Sun Koh“ und „Jan Mayen“. Zusätzlich arbeitet Heinz J. Galle einige nicht mehr zufällige Ähnlichkeiten zwischen vor allem „Atalanta“ und „Sun Koh“ heraus. Natürlich ist es für Heinz J. Galle auch schwierig, Müller über Gebühr als Plagiator anzugreifen und das Fazit geht auch in diese Richtung. Aber der Leser fragt sich, ob es nicht noch weitere phantastische Werke gibt, aus denen Müller sehr freimütig zitiert hat, die bislang nicht entdeckt worden sind. Bloß weil Robert Kraft ebenfalls nicht alles selbst erschaffen hat, gibt es Paul Alfred Müller nicht das Recht, ihn als Quelle zu nehmen. An einigen Punkten lässt sich aufgrund der Allgemeingültigkeit der Ideen aber auch streiten, ob es noch Inspiration oder schon Plagiat ist. Wie bei allen Bändern dieser im „DVR“ Verlag publizierten Robert Kraft Reihe sind liebevolle die Originalzeichnungen in die Handlung eingebaut und das Nachwort reichhaltig illustriert worden.

 

Verlag Dieter von Reeken

Band 4 (Lieferungen 37–48,

484 Seiten, 51 Abb.

ISBN 978-3-940679-97-0