An den Grenzen der Zeit

David L. Masson

Zehn Geschichten hat David L. Masson in seiner kurzen Karriere veröffentlicht. Der Universitätsbibliothekar schrieb sie für Michael Moorcocks „New Worlds“. Sieben dieser Texte sind in der 1968 veröffentlichten und 1984 bei Ullstein auf deutsch erschienenen Anthologie zusammengefasst worden. Erst 2003 fügte man für eine Neuveröffentlichung im Rahmen der SF Masterworks die fehlenden drei Kurzgeschichten hinzu. Die deutsche Ausgabe reicht allerdings aus, um Massons beste Arbeiten zu goutieren und einen Einblick in sein kleines, aber auch ausbaufähiges Werk zu nehmen. Das Titelbild – eine halb geschälte Banane vor dem Hintergrund des Universums – sowie Harry Harrisons euphorische, deutlich über das Ziel hinausschießende Einleitung erwecken allerdings einen falschen Eindruck: David L. Masson ist kein Satiriker und seine Texte sind keine Douglas Adams Zeitreisegeschichten. Nur vier der sieben Texte handeln von der Idee einer Zeitreise und selten ist es ein Vorgang, das aktiv und vor allem geplant betrieben wird. Nur in einer Story „Die unendliche Wahl“ könnte in der Theorie die Zeitreise die Probleme der Menschheit lösen. Gäbe es nicht, ja gäbe es nicht andere, die auf den gleichen Gedanken gekommen sind. Masson ist kein herausragender Autor dieser Ära. Dazu ist sein Werk zu schmal und stilistische Souveränität steht in einem starken Kontrast zu Tempo/ Spannungsaufbau. Aber er ist eine der Stimmen, die sich unter Moorcock in „New Worlds“ zu entwickeln begannen. Auch wenn seine Stimme sehr schnell wieder zu Gunsten einer bürgerlichen Karriere verstummt ist.

 "Verlorener Boden“ (Lost Ground“)  ist eine interessante Prämisse, die Gordon R. Dickson als auch Stephen Baxter zu Romanen bzw. zu einer Tetraologie ausgebaut haben. In England tauchen anfänglich in einem eng begrenzten Gebiet Zeitlöcher auf, durch die man „fallen“ oder „gehen“ kann. Aufgrund der unendlichen Möglichkeiten ist eine Rückkehr in die Ursprungszeit unmöglich. Der Protagonist hat nicht nur seinen Sohn durch einen bizarren Unfall verloren, auch seine Frau fällt auf ihrer Erholungsreise in dieses Nichts. Er macht sich auf die Suche, die in realer Zeit mehr als zwei Generationen andauert. Das zufrieden stellende, aber auch melancholische Ende entschädigt für diese nicht immer einheitliche Mischung aus klassischer Science Fiction in der Tradition H.G. Wells und Anklängen des New Wave. Insbesondere im Mittelteil baut der Autor keine Spannung auf, sondern verfängt sich in seinen verschiedenen Zeitzonen. In der Zukunft wird der Wanderer zu einem Medienobjekt der Begierde. Die New Wave Idee ist, dass das Wetter emotional ist und sich je nach Laune auf das Gemüt der Briten schlägt. Die Stimmungen kann man mit Drogen verstärken oder ausgleichen. Es ist schade, dass Masson aus dieser interessanten und für die damalige Zeit ohne Frage provokanten Idee nicht mehr macht. Plottechnisch hätte diese kurze Novelle für einen Roman ausgereicht, wenn die Zeitproblematik etwas nachhaltiger erläutert  – manches klingt wie aus einer überdrehten „Dr. Who“ Folge – und vor allem die Hintergründe der Protagonisten nuancierter entwickelt worden wären.  

Thematisch ähnlich gelagert, wenn auch unterschiedlich ausgeführt sind „Hausfreund von vorgestern“ („A Two- Timmer“) sowie „Die unendliche Wahl“ („The Transfinite Choice“). In beiden Geschichten wird ein Mann aus seiner Zeit versetzt. „Hausfreund von vorgestern“ ist die bessere Story. Ein Bewohner des 17. Jahrhunderts von eine Zeitmaschine – Ähnlichkeiten zu H.G. Wells berühmter Erfindung sind vorhanden – und reist in die Gegenwart des 20. Jahrhunderts, wo er von einer durchschnittlichen Familie aufgenommen wird. In Tagebuchform beschreibt er die fremdartige Welt, wobei einem Bewohner des 21. Jahrhunderts die 60er Jahre ebenfalls fremdartig vorkommen. Er freundet sich schließlich mit der Ehefrau an und muss dem gastlichen Haus wieder entfliehen. Die Tagebuchaufzeichnungen sind von Horst Pukallus adäquat umgesetzt worden. Das Umgangssprachliche ist anfänglich Gewöhnungs bedürftig, verleiht der Story aber einen individuellen Charme. Der Zeitreisende ist sehr dreidimensional gezeichnet und seine Sichtweise auf das ihm gänzlich fremde Jahrhundert ist eine Mischung aus Satire und Bewunderung. Nur fehlt der Geschichte die Pointe. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Zeitreise in einer der wildesten Zeiten des 20. Jahrhunderts in der Nähe einer der „In Städte“  wie London gelandet ist. Sachlich distanziert beschreibt Masson diese besondere Begegnung und baut als stiller Beobachter wenig innere Spannung auf. Auf der anderen Seite bemüht er sich der Zeitreisethematik eine neue, andere Perspektive zu geben.

 “Die unendliche Wahl” beginnt ähnlich. Ein Fremder landet in einer ihm fremden Zeit. Er wird ausgebildet und wird später Teil einer wissenschaftlichen Gruppe, die gegen die Überbevölkerung der Erde mit unorthodoxen Methoden vorgehen möchte. Nur sind sie nicht alleine. Wie „Hausfreund von gestern“ fehlt dem kompakten Aufbau der Geschichte eine innere Spannung. Zu stark konzentriert sich Masson auf die Beschreibung seiner dunklen Zukunft und der die Pointe bildenden Idee. Diese Distanz lässt die Story ältere und antiquierter erscheinen als sie in Wirklichkeit ist. Vor allem weil die Hintergründe ausgesprochen modern sind. Masson ist kein technokratisch orientierter Autor, seine Beschreibungen der Zeitreise sind Nonsens, den er zur Verwirrung seiner Leser mit fast sadistischem Vergnügen nutzt. Mit etwas mehr „Fleisch“ und einer erzähltechnischen Finesse hätte er aus seinen Ideen überdurchschnittlichen Novellen machen können, so bleiben es unterhaltsame, wenn auch stilistisch solide, aber auch ein wenig antiquierte Kurzgeschichten aus einer Zeit, in der die Science Fiction sich einer Gestaltwandlung unterzogen hat.    

 Seine bekannteste Arbeit ist die vierte Zeitreisestory: “An der Zeitfront” (“Traveller´s Rest). Von der Konzeption her hat Masson die Grundidee von „Verlorener Boden“ verfeinert. Die Zeit ist nicht mehr kontrollierbar und scheint in unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf einer Welt abzulaufen. In einem anfänglich begrenzten Teil der Welt wird ein brutaler Krieg ausgefochten. Zu Beginn wird einer der Soldaten, die es geschafft haben, eine Dienstzeit zu überstehen, in ein bürgerliches Leben entlassen. Er gründet eine Familie und macht Karriere. Die Jahre (?) verfliegen, bevor er wieder einberufen wird und eine schreckliche Erkenntnis macht. Neben der interessanten, perfiden Grundidee, die eine Mischung aus den besten „Twilight Zone“ Geschichten und einem Vorgriff auf Haldemans „Der ewige Krieg“ darstellen könnte, gelingt es Masson trotz oder in diesem Fall gerade wegen seines distanzierten Stils, die Hauptfigur emotional überzeugend und dreidimensional zu charakterisieren. Die Leser und Protagonist gleichzeitig dämmernde Erkenntnis ist sehr gut vorbereitet, auch wenn die Idee absurd erscheint. Gerade der Kontrast zwischen der Zeitfront und dem friedlichen, so vertrauten Leben macht den Reiz dieser Kurzgeschichte aus. Auch wenn etwas mehr Vertraulichkeit die zynische Pointe noch besser und eindrucksvoller zur Geltung gebracht hätte.   

Neben den Tücken der Zeitreise hat sich Masson in seinem schmalen Werk mit Linguistik auseinandergesetzt. Im Gegensatz zu den schelmischen Ideen eines Jack Vance oder eines Keith Laumers ist „Weniger sicher“ („Not so certain“) weniger eine Geschichte als eine Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten einer außerirdischen Sprache. Das Grundmuster könnte aber ohne Probleme auch wieder auf die Erde und ihre zahlreichen Sprachen übertragen werden. Masson nimmt sich sehr viel Zeit, dem Leser die Tücken einer richtigen Betonung und der Nutzung entsprechender Silben zu vermitteln, ohne auf einen möglichen Inhalt seiner Geschichte einzugehen. Über die Fremden erfährt man so gut wie gar nichts, so dass „Weniger sicher“ zusammengefasst als Fingerübung denn eine wirkliche Geschichte erscheint.

„Schlund der Hölle“ („Mouth of Hell“) ist eine Mischung aus einer planetaren Expedition und einer Weird Fiction Geschichte. Auf einem fremden Planeten finden die Forscher einen gigantischen, anscheinend bodenlosen Spalt, in den eine Expedition eindringt. Mehr und mehr wird es angesichts des geologischen Herausforderungen zu einem Alptraum. Im Epilog unterstreicht Masson dagegen zynisch, dass sich die Menschen diese Felsformation zumindest zum Teil Untertan machen. Die Geschichte ist sehr, vielleicht zu kompakt geschrieben. Die Hintergründe hätten dreidimensionaler beschrieben werden können und vor allem der Expedition an sich fehlt eine innere Spannung. Zu einer Novelle ausgebaut wäre der Text deutlich interessanter gewesen. 

Sehr experimentell ist „Psychomosis“. Masson setzt sich mit dem Leben nach dem Tod im Vergleich zum „normalen“ Leben allerdings eher ländlicher Garnitur auseinander. Wie in seinen bisherigen Texten entwickelten er vor allem keinen emotionalen Hintergrund, was die Geschichte fragmentarisch und wenig zugänglich erscheinen ist. Verschiedene Thesen unterschiedlicher Ausrichtung sollen einen nachvollziehbaren Handlungsbogen ersetzen, funktionieren aber nicht richtig.   

Zusammengefasst ist „An den Gezeiten der Zeit“ eine auch heute noch interessante Sammlung von teilweise zu fragmentarischen Arbeiten eines nicht zu Unrecht vergessenen Magazinautoren, der Ende der sechziger Jahre mit seinen Ideen nur kurzzeitig die Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Das hier vorgestellte Werk ist qualitativ uneinheitlich, manchmal zu experimentell, dann unabhängig von den guten Ideen zu konservativ ausgeführt. Immer wieder hat Masson den Kapitalismus auch an überraschenden Stellen kritisiert und antiutopische Gesellschaftsformen umrissen, die er allerdings aufgrund der Kürze der Texte nicht weiter extrapoliert hat. Auch die fehlende Individualisierung seiner in erster Linie funktionellen Protagonisten arbeitet in einigen der hier versammelten Texte gegen die interessanten, wenn auch manchmal absurden Grundideen.  Insbesondere die vier Zeitreisegeschichten ragen aber aus der Sammlung heraus und zeigen, dass Masson mit ein wenig mehr Selbstdisziplin und stilistischer Varianz zu einem der wichtigsten Kurzgeschichtenautoren des Genres hätte werden können. Wenn er sich nur die Zeit genommen hätte.

  • Taschenbuch: 172 Seiten

Verlag: Ullstein; Auflage: 1. (Mai 1984)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 354831077X

ISBN-13: 978-3548310770

aschenb

  • Taschenbuch: 172 Seiten

  • Verlag: Ullstein; Auflage: 1. (Mai 1984)

  • Sprache: Deutsch

  • ISBN-10: 354831077X

  • ISBN-13: 978-3548310770

uch

Originaltitel: The caltraps of time [1968] Faber and Faber [GB]


Auto

  • T172 Seiten

  • Verlag: Ullstein; Auflage: 1. (Mai 1984)

  • Sprache: Deutsch

  • ISBN-10: 354831077X

  • ISBN-13: 978-3548310770

r:

David I. Masson 


Verlag/Jahr/Seiten:
Ullstein / 1984 - 171 Seiten
Reihe: Ullstein SF 31077 
ISBN: 3-548-31077-X     ISBN13: 978-3-548-31077-0
Die 1. engl. Ausgabe mit ISBN siehe unten...
Übersetzung:
Horst Pukallus