Arkadia

Bernhard Kempen

Der 1961 in Hamburg geborene Bernhard Kempen hat vor vielen Jahren mit seinem Erstling „Der Gourmet“ schon provoziert. Neben einer Reihe von Übersetzungen verfasst er Artikel, Kurzgeschichten und einige Titel der „Perry Rhodan“ oder “Atlan“ Miniserien. Er tritt im Berliner Nachtleben mit einem Sexy Comedy Programm auf.

 „Arkadia“ ist nicht nur der erste Band um die Abenteuer der zukünftigen Weltraumheldin Greedy, er dient auch als Einführung in das „Xenosys“ Universum. Dabei ist die Krimihandlung im Grunde nur ein aufgesetztes Element, um dem Leser Spannung anzubieten, die angesichts des exotischen Hintergrunds und der vielschichtigen Kultur auf dem paradiesischen Planeten nur bedingt notwendig ist. Bernhard Kempen folgt Philip Jose Farmer und Piers Anthony in den Bereich der nicht unbedingt erotischen, aber sexuell sehr aktiven Science Fiction.

 Wie eine Reihe von Autoren – siehe auch Clifford D. Simak oder Kurt Brand – greift Bernhard Kempen auf die Figur des Reporters zurück, der fast widerwillig zu diesem interessanten Auftrag gezwungen wird. Das Ziel, eine entsprechende Reportage zu verfassen, geht im Laufe des Besuchs fast verloren. Sie dient aber impliziert als roter Faden, um auch für den Leser die vielen Impressionen zu ordnen. Adrian Ginjeet ist alles andere als prüde, wie seine Affäre an Bord des Raumschiffs nach Arkadia beweist. Aber er denkt und handelt in irdischen Dimensionen. Daher überfordert ihn fast das hemmungslose Leben auf dem von Nudisten besiedelten Kolonialplaneten, der durch seine besondere Form- ein Kontinent zieht sich wie eine Art Gürtel nur um den Äquator – und das milde Klima auffällig ist.

 Fast zweidrittel des Buches nimmt sich Bernhard Kempen Zeit, um nicht nur Arkadias vielfältige Kulturen, sondern auch die teilweise exzentrischen Menschen einzuführen. Da es auf diesem Planeten keine Hemmungen gibt und sexuelle Aktivitäten den Tag bestimmen, Arbeit aber irgendwie nicht notwendig ist, gibt es sehr viel zu entdecken. Wie Farmer oder Anthony provoziert Bernhard Kempen den Leser nicht nur für den allgegenwärtigen Freizügigkeit und den erstaunlich wenig emotional oder aufreizend beschriebenen Sexszenen, sondern baut sich seinen eigenen Mikrokosmos auf.

 Rückblickend greift Bernhard Kempen nur auf eine Handvoll von Charakteren zurück, so dass der erste Mord auf dem Paradiesplaneten nur über einen kleinen Kreis von Verdächtigen verfügt. Positiv ist, dass der Autor sich ausgesprochen viel Zeit nimmt, die einzelnen Protagonisten vorzustellen und dadurch auch verschiedene Ideen bzw. Ideale zu extrapolieren. Das reicht von den körperlichen Veränderungen – das Wort Zwitter bekommt eine besondere Bedeutung – über das absurde Theater bis zu dem obligatorischen Fisch aus dem Wasser, denn Adrian Ginjeet ist fast der einzige Mensch, der Kleidung trägt, während alle Arkadier nackt herumlaufen.

 Eine derartig auf die Befriedigung von sexuellen Gelüsten, aber wie Adrian Ginjeet feststellt, erstaunlich wenig auf Erotik ausgerichtete Gesellschaft kann im Grunde nur in der Theorie funktionieren. Eifersucht und Missgunst sollte es nicht geben. Auf den letzten Seiten zerfällt diese Elfenbeinturmtheorie und zeigt, das die Arkadier im Grunde auch nur Menschen sind. Erstaunlich ist, dass Adrian Ginjeet den Mord gleich auf sich bezieht und von sich als Auslöser des Sündenfalls spricht, obwohl er nicht der einzige anreisende Terraner gewesen ist.

 Bernhard Kempen führt die Ermittlungen in dieser Hinsicht erstaunlich schnell zu Ende. Es folgt die Befragung von Verdächtigen, bevor die Ereignisse quasi den Plot überrollen. Es stellt sich allerdings die Frage, warum der Täter abschließend beim potentiellen Verwischen der Spuren derartig naiv vorgeht, obwohl er über das ausreichende Hintergrundwissen verfügen müsste. Wie eingangs erwähnt wirkt der Mord eher als eine Art Kompromiss gegenüber dem Leser, um seine „normale“ Lesehaltung zu befriedigen. Das offene Ende impliziert, dass weitere dramaturgisch umfangreichere Abenteuer in naher Zukunft folgen werden.

 Im Grunde ist diese Vorgehensweise aber unnötig. Alleine die Reise an der Seite Greedys könnte für einen umfangreicheren Roman ausreichen. Ginjeet lernt durch die Gleiterpilotin nicht nur die Besonderheiten dieser Welt kennen, viel mehr bietet ihre ambivalente Herkunft in Kombination mit ihren hervorstechenden Eigenschaften so viel Stoff, dass man am Ende des Buches hinsichtlich der vagen Hinweise fast ein wenig frustriert ist.

 Interessant ist weiterhin, dass die progressive Gesellschaft immer wieder und nicht nur durch Ginjeets Ankunft auf alte Tugenden oder Laster der Erde zurückfällt. Eine Gesellschaft kann nur so progressiv oder tolerant sein, wie es die einzelnen Mitglieder sind. Und hier greift Bernhard Kempen auf die ältesten, aber auch pragmatisch eingesetzten Motive zurück, um die brüchige Fassade aufzuzeigen. Das wirkt auf der einen Seite ohne Frage konsequent, auf der anderen Seite aber nicht gänzlich befriedigend. Philip Jose Farmer hat in seinen besten erotischen Science Fiction Romanen das Geschehen auf eine allerdings auch exzentrisch exotische Spitze getrieben. Schon im Laufe der Geschichte baut Kempen diese typischen, fast klischeehaften zwischenmenschlichen Momente in den Roman ein und bereitet vielleicht auch unbewusst seine Leser auf das mörderische, aber plötzlich sehr zugängliche Finale vor.

 Adrian Ginjeet ist bei dem Geschehen der Mittler zum Leser. Bernhard Kempen greift zwar auf die intime Ich- Erzählerperspektive zurück und lässt seinen fast anfänglich klischeehaften Reporterprotagonisten direkt mit dem Leser Kontakt aufnehmen, um das Geschehen zu beschreiben, aber auch vielleicht mögliche Vorurteile der Leser nicht immer erfolgreich zu relativieren. Dadurch wirkt der Roman deutlich stringenter und dynamischer. Zusätzlich bleibt die Reise eine subjektive Erfahrung und Ginjeet als Stellvertreter erfährt nur das, was er erfahren soll. Nur selten wird sein Horizont abschließend und zufrieden stellend erweitert. Mit dieser Vorgehensweise hält sich Bernhard Kempen alle Optionen für die nächsten Romane offen.

 Auf der anderen Seite bleibt abzuwarten, ob einzelne Andeutungen wie die Beobachtungen im Arkadia nahen Weltraum in den nächsten Büchern aufgegriffen werden oder sie nur eine Art Füllmaterial darstellen. Potential ist ausreichend vorhanden.

 Beginnend mit dem provozierenden wie reizvollen Titelbild Dirk Schultz über die Illustrationen Michael Wittmanns im Text ist „Arkadia“ ein kurzweilig zu lesender, ohne Frage aus der Reihe fallender First Contact Roman der ersten Art. Bernhard Kempen hat vielleicht auch durch seine Secx Comedy Programme eine überzeugende Routine entwickelt, um vor allem Dialoge nachvollziehbar und echt klingend zu schreiben. Dazu kommt eine Reihe von doppeldeutigen, aber nicht primitiven Anspielungen.

 Arkadia als Planet bürgt zusätzlich für mehrere Romane ausreichend Geheimnisse. Mit seiner seltsamen medizinisch modernen und intellektuell irgendwie archaischen Kultur, der eindrucksvollen, wenn auch geographisch beschränkten Natur und den zahllosen mehrdimensionalen Charakteren  taucht der Leser an der Seite des emotional überforderten, sich aber schnell auch freischwimmenden Adrian Ginjeet sehr gerne in diese Geschichte ein, auch wenn seine zukünftige Heldin Greedy momentan allgegenwärtig und doch irgendwie noch sehr stark im Hintergrund gehalten wird. 

ARKADIA: Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum (AndroSF / Die SF-Reihe für den Science Fiction Club Deutschland e.V. ...

  • Broschiert : 160 Seiten
  • ISBN-10 : 3957652103
  • ISBN-13 : 978-3957652102
  • Herausgeber : p.machinery; 1. Auflage (1. August 2020)
  • Sprache: : Deutsch