Alanna

Octavia Butler

Der 1978 entstandene Roman „Survivor“ ist der vierte Teil ihrer „Patternist“ Serie. Es ist der letzte Band, der auf deutsch erschienen ist.  In den USA ist das Buch lange Zeit nicht nachgedruckt worden und führte eine Art Schattendasein. Octavia Butler selbst sie in der auf einer fremden Welt spielenden Liebesgeschichte ihre „Star Trek“ Hommage und möchte den fertigen Roman augenscheinlich wenig.  

Der Plot ist eigenständig. Ohne einen kleinen Rückblick könnte die Geschichte auch außerhalb des „Patternist“ spielen. In diesem Abschnitt wird der am Ende von „Clay´s Ark“ sich entwickelnde Konflikt zwischen den „Patter“ Familien und den vom außerirdischen Virus infizierten Gruppen extrapoliert. Die Menschheit möchte in Form mehrerer Raumschiffe die Erde verlassen und anderen Planeten besiedeln. Bei den  „Patter“ Familien besteht aber die Herausforderung, die einzelnen psychischen Netzstricke nicht zu durchschneiden und die einzelnen Mitglieder dadurch einsam sterben zu lassen. Octavia Butler findet dafür eine konstruierte Möglichkeit, die angesichts der bisherigen Entwicklungen innerhalb der „Pattern“ Gruppen, aber auch hinsichtlich des Endes im zweiten Roman „Der Seelenplan“ holprig erscheint.

Bei einer chronologischen Lektüre der Serie hat der Leser das Gefühl, als wenn zwischen „Der Seelenplan“ und „Alanna“ ein Roman fehlt.  Auch die Beeinflussung der Menschen durch die außerirdische mikroskopische Intelligenz wird im vorliegenden Roman nicht weiter extrapoliert.

Unbestimmt ist durch die ausschließliche Fokussierung auf die Ereignisse abseits der Erde auch die Zeit, welche zwischen „Clay´s Ark“ mit dem ersten Raumflug zu einem anderen Sonnensystem und dem Bau ganzer Archen in „Alanna“ vergangen ist.

Jules Verrick ist der Anführer der Missionare, welche den Planeten besiedelt haben. Er war ein versklavtes Mitglied der „Patternists“. Anscheinend konnte er sich auf dem neuen Planeten aus diesem Bann befreien, wobei in diesem im Rückblick extra angesprochenen Punkt ausgesprochen vage bleibt. Auf der einen Seite ist Verrick in dieser auch durch die Ureinwohner herausfordernden Umgebung ein klassischer, aber nicht tyrannischer Anführer, auf der anderen Seite kann er zumindest Alanna verstehen, die sich eher als adoptierte Wilde ansieht als ein vollwertiges Mitglied dieser von Octavia Butler auch frustrierend vagen charakterisierten Glaubensgemeinschaft.

Er hat zumindest väterliche Gefühle Alanna, vielleicht empfindet er sogar mehr. Das potentielle Beziehungsdreieck zwischen Alanna, Jules Verrick und Diut als Nichtmenschen hätte auf der emotionalen Ebene einen breiten Raum einnehmen können. Klassische Themen in Octavia Butlers Werk sind ja Vorurteile und Rassendiskriminierung. Aber in „Alanna“ bleibt sie vor allem angesichts der Tatsache, dass Diut als Ureinwohner des Planeten natürlich nicht menschlich sein muss und trotzdem von Menschen akzeptable Charakterzüge tragen kann und trägt.  Das zwischen den Zeilen aufgebaute Konfliktpotential entlädt sich vor allem im direkten Vergleich zu „Wilde Saat“ und „Der Seelenplan“ an keiner Stelle.

Lange Zeit ist „Alanna“ eine First Contact Geschichte. Vielleicht ist Octavia Butler deswegen auch mit dem Buch unzufrieden, da die grundlegende Handlung mit einer über die Scheuklappen hinausschauenden jungen Frau auf einer fremden Welt gute und zu ihrem Werk passende Ansätze bietet.

Bis auf „Clay´s Ark“ baut die Autorin immer eine selbstsichere und entschlossene, farbige Frau in ihre Romane ein. Daher ist die Titelfigur Alanna auch Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Alle wichtigen Ereignisse werden ausschließlich aus ihrer Perspektive erzählt. Selbst die Rückblicke führen quasi zum Auftakt dieser Geschichte hin und erzählen keine breite Kolonisten Chronik.  

Alanas Vergangenheit wird in Rückblenden erzählt. Ihre Familie wird auf der Erde bei einem Angriff der an Bestien erinnernden Clayarks – der einzige Verweis auf den dritten Teil der Serie – getötet. Missionare finden sie, wobei einer der Männer sie töten möchte. Ihre Mission ist eher ambivalent. Sie wollen in einer verrohten Welt menschliche Werte aufrechterhalten. Sie wächst bei den  Missionaren auf und fliegt mit ihnen auch zu den Sternen. Auf dem fremden erdähnlichen Planeten begegnen sie allerdings den Kohn, die sich perfekt ihrer Umgebung anpassen können. Sie leben in kleineren Klans und führen Kriege gegeneinander. Alanna wird von einem der Klans entführt und lernt, sich ein zweites Mal anzupassen.  Die wird die Frau eines der Klanführer- Diut.  Gegen alle Wahrscheinlichkeiten wird sie auch schwanger.

Diut ist eine faszinierende Schöpfung. Die Farbe Blau spielt bei den Klans eine dominante Rolle und je tiefer das Blau in ihrer Fellfarbe ist, desto höher stehen sie in der Hierarchie. Diut ist vielleicht kein Doro, aber er ist es auch gewöhnt, das ihm absoluter Gehorsam entgegengebracht wird. Ein Prinzip, das bei Alanna genauso wenig funktioniert wie bei Anyanwu, die auch früh gelernt hat, sich selbst zu vertrauen und jedem Druck zu widerstehen.

Auch wenn Diut ein exotischer Charakter ist, reicht er dem charismatischen Doro aus den ersten beiden Büchern der Serie nicht das Wasser. Auf ihre Art erinnert Alanna vielleicht an einer sehrt junge Anyanwu, bevor sie ihre an Hexerei erinnernden Fähigkeiten vollends entwickelt hat. Auch wenn die Autorin in einem der vielen Rückblicke Alannas Herkunft als afrikanisch- amerikanisch mit einem asiatischen Einschlag offenbart, spielt das keine Rolle im Handlungsverlauf.

Auf einem fremden Planeten sind alle Menschen Eindringlinge. Während Rassismus nur ein untergeordnetes Thema ist dominiert eine andere Idee, die sich im Großen schon durch die ganze Serie zieht. Assimilation. Die Anpassung an die Umwelt. Doro musste seine Zuchtdörfer vor den weißen Kolonisten in der neuen Welt verstecken. Mary Patternfamilie lebte zusammen im Inneren verbunden durch die Muster, aber nicht erkennbar von der Außenwelt. Alanna passte sich nicht nur den Missionaren an, um zu überleben, sondern auch den Kohn.

Sex mit Minderjährigen ist ein Thema, das sich durch die Serie zieht. Chronologisch beginnend in „Wilde Saat“ mit dem Übervater Doro kam auch die Idee des Inzest zu Gunsten der neuen „Pattern“ Familie hinzu. Auch in „Clay´s Ark“ haben die beiden erst sechzehn Jahre alten Zwillinge einvernehmlichen Sex oder werden vergewaltigt. Allerdings schon, als ihre Transformation zur neuen Lebensart begonnen hat und sie dadurch quasi ihren Peinigern überlegen werden. Alanna soll während der Landung auf der fremden Welt fünfzehn Jahre alt sein. Selbst wenn der Leser einige Monate auf dem Planeten hinzuzählt, hat sie ihren ersten einvernehmlichen Sex mit sechzehn.

Als Protagonistin und Überlebenskünstlerin mit zahlreichen Erfahrungen ist es akzeptabel, dass sie älter wirkt als fünfzehn oder sechzehn. Aber den ganzen Plot betrachtend agiert sie eher wie ein junge Frau, die zehn Jahre älter ist. Sie kann zu schnell zu viele Herausforderungen überwinden, was wahrscheinlich auch der Kürze des Plots geschuldet ist.  Dazu muss sie sich vielleicht auch zu vielen teilweise ein wenig konstruiert wirkenden Herausforderungen stellen.

Erst am Ende des Buches findet sie die richtige Balance bestehend aus Anpassung und Charakterstärke. Wie ihre Umgebung sie formt, beeinflusst sie auch ihre „Mitwesen“. Aber diese positive Botschaft kommt im ganzen Buch fast zu kurz. Daher wirkt die Geschichte auch so unrund, weil Octavia Butler durch die Rückblenden, die oberflächliche Beschreibung einer grundsätzlich fremden Zivilisation und den Verzicht auf einen wirklich überzeugenden Antagonisten über die Schurkenklischees hinaus dem Plot die notwendige Tiefe und Intensität nimmt.

Wichtige Aspekte wie die Frage, ob Menschen oder Außerirdische erst zu intelligenten Wesen werden, wenn sie an eine Art Gott glauben, wird während der finalen Auseinandersetzung zwischen Alanna und Jules Verrick andiskutiert.  Octavia Butler schleicht aber förmlich über dieses zeitlose wie brisante Thema hinweg, in dem Jules Verrick als Missionar die Klischees fast jeder Kirchengemeinschaft zitiert und sich als unfähig erweist, über den eng auf die Erde begrenzten religiösen Horizont hinwegzuschauen. Obwohl das auf einer fremden Welt elementar ist.

„Alanna“ ist selbst für die siebziger Jahre höchstens eine solide First Contact Geschichte, die kompakt wie kurzweilig verfasst worden ist. Nur wenige Aspekte werden der grundlegenden Serie hinzugefügt. Es ist auch die einzige Geschichte, die im All spielt. Dem Roman fehlen die provokanten Ideen der auf der Erde spielenden Abenteuer. Octavia Butler hat versucht, den Konflikt zwischen den Clayarks und den Patternist auf eine andere Ebene zu transportieren, in dem sie ein wildes Volk einführte, das moralisch aber den Menschen in Nichts nachsteht. Dieser Versuch ist nur bedingt gelungen, weil die originären Konflikte zu wenig nachhaltig ausgearbeitet erscheinen und zu diesem Zeitpunkt auch die Ausgangsbasis zwischen Clayarks sowie ihren Konrahenteninnerhalb der ganzen Serie noch in den Kinderschuhen steckt.

Die „Patternist“ Serie kann als Ganzes auf „Alanna“ verzichten und wird dadurch nicht weniger faszinierend. Anders verhält es sich bei dem nicht übersetzten Roman „Clay´s Ark“, der existentiell für den Plotverlauf ist.  Die Idee, eine Art zweiten Handlungsbogen zu etablieren, hat Octavia Butler anscheinend nach der Fertigstellung des aus ihrer Sicht „enttäuschenden“ Buches abgebrochen.  Für sich betrachtet ist „Alanna“ kein schlechtes Buch, es ist aber auch kein zufriedenstellender Roman. Für eine Autorin, die sich intensiv mit rassistischen Vorurteilen und der Verfolgung ihrer eigenen Rasse auseinandergesetzt hat, bleibt angesichts des Potentials einfach zu viel unnötig auf der Strecke.      

 

Alanna

  • ISBN-10 : 3404240529
  • ISBN-13 : 978-3404240524
  • Herausgeber : Bastei-Verlag, (1. Januar 1984)
  • ASIN : B0026I3IHG
  • Sprache: : Deutsch