Als der Seelenmeister starb

Octavia Butler

Octavia Butlers erste Buchveröffentlichung „Pattenmaster“ erschien 1976 in den USA. Der Bastei Verlag veröffentlichte den Titel ebenfalls als erste Romanpublikation Octavia Butlers 1982 unter dem poetischen und passenden „Titel „Als der Seelenmeister starb“. Der Roman ist aber das Ende eines Abschnitts ihrer „Patternmaster“ Serie. Die Geschichte wird nicht beendet, sondern eine wichtige Episode hinsichtlich einer weitergehenden evolutionären Entwicklung findet sein Ende.

 „Als der Seelenmeister starb“ muss daher aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Als das Debüt einer der ohne Frage talentiersten und interessantesten weiblichen Science Fiction Autoren des 20. Jahrhunderts. Und als Abschluss eines fünfteiligen Zyklen, dessen Geschichte beginnend im 17. Jahrhundert in Afrika weit in die Zukunft und eine gänzlich andere soziale Struktur reicht. Aus beiden Perspektiven weist der Roman eine Reihe von Stärken und Schwächen auf. In der abschließenden chronologischen Reihenfolge fallen diese im Grunde offenen Flanken nicht so sehr ins Gewicht, da die ersten beiden Bücher „Wilde Saat“ und „Der Seelenplan“ die Geschichte der Patternist erzählen, während der wie erwähnt nicht übersetzte „Clay´s Ark“ die Geschichte der tierischen Clayarks zusammenfasst. Nur „Survivor“ passt in vielen Punkten nicht ganz in die ganze Serie und wirkt daher wie der Versuch, einen weiteren Handlungsbogen auf einem fremden Planeten zu etablieren, ohne die grundsätzlichen Konfliktpunkte zwischen den Patternist und den Clayarks mit den Stummen – den normalen in mehrfacher Hinsicht unterdrückten Menschen – zu extrapolieren.

 Wie „Der Seelenplan“ wirkt „Als der Seelenmeister starb“ unfertig. Viele aus „Wilde Saat“ bekannte Informationen werden eher sporadisch in die kompakte, aber nicht von einem hohen Tempo gekennzeichnete Handlung eingestreut.

 Der Roman beginnt mit einem Angriff der Clayarks auf den Patternmaster Rayal, der sich mit seiner Hauptfrau und gleichzeitig Schwester – diese Muster werden in „Der Seelenplan“ ausführlicher besprochen – in seinem Haus aufhält. Seit mehr als einem Jahr haben die Clayarks nicht mehr angegriffen. So wähnt man sich in Sicherheit. Rayals Frau wird durch den Einschlag einer Kanonenkugel getötet. Das die Claysark auf menschliche Technik zurückgreifen, ist neu. Auch seinen die tierischen mikrobiologischen außerirdischen Einflüsse nicht mehr so dominant zu sein. Rayal wird schwer verwundet und muss sich die nächsten Monate darauf konzentrieren, sein Leben zu erhalten und nicht mehr die Clayarks zu töten. Ein Aspekt, der erst am Ende des Romans wieder wichtiger wird und den Octavia Butler frustrierend ambivalent behandelt.

 Nach dem Anschlag lernen die Leser Rayals sehr unterschiedliche Kinder und ihre jeweiligen Interessen kennen. Im Gegensatz zu Kennern der Serie muss die Autorin im abschließenden oder hinsichtlich der Entstehungsgeschichte ersten Roman vermitteln, wie das telepathische Netz entstanden sind. Andere Fähigkeiten deutet sie nur an. „Wilde Saat“ hat dieses Thema deutlich ausführlicher behandelt, „Der Seelenplan“ hat die Vor- und Nachteile dieses gemeinschaftlichen Geistes gegenüber gestellt. Alleine die Idee, das Rayal über die Fähigkeit verfügt, die Claysark zu töten, widerspricht der bisherigen Exposition. Hier hat die Autorin deutlich gemacht, dass es zumindest hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem dominanten Doro aus den ersten beiden Büchern notwendig ist, das Individuelle zu opfern und Teil des Gemeinschaftsgeists der Patternists zu werden. Ohne Rückkehr ins alte Leben.

 Im Auftaktkapitel entwickelt Octivia Butler ihre Welt in wenigen Sätzen. Der Konflikt Clayarks/ Patternist wird angesprochen. Auch die Stummen – Menschen mit latenten paranormalen Fähigkeiten, in „Der Seelenplan“ eher normale Menschen – dienen als Sklaven und unterwerfen sich den Patternist, deren Geburtsstätte später in „Wilde Saat“ der Geist der barbarischen Sklaverei gegenüber afrikanischen Völkern ist. Die Autorin baut diesen Widerspruch hinsichtlich der sozialen Entwicklung allerdings sehr zögerlich und verhalten auf. Der Leser kann nicht erkennen, dass die mächtigsten Patternists Nachkommen von farbigen Sklaven und des Zuchtprogramms Doros sind.

 Es gibt keine Hinweise auf deren Geschichte. Octavia Butler konzentriert sich auf zwei Brüder und damit Söhne Rayals. Damit nutzt sie vorsichtshalber ein klassisches Motiv, dem sie den existentiellen Konflikt mit den Claysarks zusätzlich zur Seite stellt. 

 Betrachtet der Leser den Roman wie angesprochen isoliert von den dominanten Themen, dann macht der Hintergrund nur Sinn in Verbindung mit den vorangegangenen Romanen. In „Clays Ark“ begann nicht nur durch die außerirdischen Mikroorganismen, sondern einen globalen implizierten Krieg der Untergang der Ersten Zivilisation. „Alanna“ führt indirekt diesen Faden fort, in dem die Missionare die immer unruhiger werdende Erde verließen und sich auf einem anderen Planeten ansiedelten. Der Höhepunkt der technischen Entwicklung.

 „Als der Seelenmeister starb“ zeigt eine Zivilisation, die ohne Technik auskommt. Viele moderne Kommunikationsmittel sind unnötig geworden, weil die Patternist sich zeitlos mittels ihrer Muster als besondere Form der Telepathie unterhalten können. Die stummen Menschen sind eher Sklaven und werden zu Tode gearbeitet. Sie haben keine Rechte mehr.

 Die Claysarks beginnen aus ihren tierischen Instinkten heraus menschliche Technik wie die Kanone zu nutzen, um die Patternist weiter zu bekämpfen. Aber es gibt nur noch Dörfer – ein Aspekt, den Octavia Butler in „Clays Ark“ zu extrapolieren begann – und keine Großstädte mehr.

 Macht und Verantwortung sind beides Themen, die sich allerdings wie ein roter Faden durch die ganze Serie ziehen. Meistens sind es Frauen, welche die entweder von Beginn an dominante Protagonistinnen sind oder sie erlangen ihre Position/ ihre Kraft in Konflikten mit Männern, die sich ihrer Umwelt überlegen fühlen. Das kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise geschehen, aber es ist bis auf die „Wilde Saat“ immer innerhalb einer durchaus auch unvollständigen oder nicht gänzlich blutsverwandten Familie. „Als der Seelenmeister starb“ ragt in dieser Hinsicht aus der Serie heraus. Zwei Söhne kämpfen um die zukünftige Macht, da absehbar ist, dass ihr schwer verwundeter Vater nicht mehr lange den eigenen Körper stabilisieren und gleichzeitig auch das Muster erhalten kann.

 Terray scheint der Favorit zu sein. Coransee arbeitet sich zum ersten Mann im Haus herauf. Er liebt es, Macht zu haben. Er lehnt aber – auch ein Hinweis auf die Gegenwart, in welcher der Roman entstanden ist – jegliche Verantwortung ab. Das macht ihn zu einem unvollständigen Herrscher, wie Gordon R. Dickson in seiner eindrucksvollen Geschichte „Call him Lord“ unterstrichen hat.

 Zwischen den beiden unterschiedlichen Söhnen steht aber mit der Heilerin Amber ein ausgleichendes Element. Auch wenn Terray im Grunde von Rayal als Nachfolger indirekt auserkoren worden ist, muss er den schweren Gang nehmen. Er wird sich um die stummen Sklaven kümmern und lernt auf diese Art und Weise, beide Seiten eines Herrschers kennen. Dadurch ist er auf der emotionalen Ebene Coransee immer überlegen. Von Beginn an verfügt Terray über die umfangreicheren Fähigkeiten. In diesem Punkt macht es sich Octavia Butler vielleicht zu einfach. Es wäre sinnvoller gewesen, Terray einen schweren Start zu schenken, damit sein eventueller Triumph um so größer ist.

 Unabhängig von ihren Positionen führt der Weg zur Position des Seelenmeisters nur über die Vernichtung der Angreifer. In „Clays Ark“ hat Octavia Butler die Idee der Claysarks besser erzählt. Auch wenn sie sich immer mehr in vielleicht mystische Tiere verwandeln, bleiben sie auf eine Art und Weise menschlich. Dieser Aspekt fehlt dem Roman gänzlich. So greift die Autorin am Ende auf ein Klischee zurück. Das Auge um Auge, Zahn um Zahn Prinzip unterstreicht, das die moralischen Unterschiede zwischen den Patternist und Claysarks rudimentär sind.

 Ab diesem Punkt lohnt es sich, „Als der Seelenmeister starb“ wieder in den Kontext der ganzen Serie einzubauen. Als Debütroman ist der Text unterhaltsam. Die beiden unterschiedlichen Rassen sind exotisch und faszinierend zu gleich. Octavia Butler hat noch nicht die Fähigkeit, dreidimensionale Charaktere durchgehend zu zeichnen und ihnen kantiges Leben einzuhauchen. Wie in „Der Seelenplan“ wirken viele Informationen aufgedrückt und entwickeln sich nicht wie in „Wilde Saat“ aus einer langen, aber exzellent erzählten Geschichte heraus. „Als der Seelenmeister starb“ ist ein interessantes Debüt, aber zeigt noch nicht, welche Tiefe die Autorin vor allem in ihren späteren Arbeiten erzielen kann.

 Im Zusammenhang mit der ganzen Serie wirkt „Als der Seelenmeister starb“ zufrieden stellender. Viele der Vorinformationen sind vor allem in „Wilde Saat“ und „Clays Ark“ entwickelt worden. Um den zuerst geschriebenen, aber am Ende spielenden Roman wirklich zu verstehen, ist es sinnvoll, die Serie in der chronologischen Reihenfolge zu lesen, auch wenn dadurch der beste Band „Wilde Saat“ an den Anfang rückt.

 Betrachtet man die Serie nicht als Chronik, als fiktive Geschichte zweier unterschiedlicher Rassen, die aber letzt endlich aus dem gleichen menschlichen Stamm entstammen, sondern als Episoden einer unvollendeten evolutionären Future Historie, dann sind alle vier Romane Momentaufnahmen eines großen Panoramas, fest gemacht als interessanten, aber nicht immer dominanten Protagonisten. „Als der Seelenmeister starb“ beinhaltet aber auch die bittere Erkenntnis, das die menschliche Evolution immer ein Kreis sein wird. Am Ende egal wie weit sich die Patternist nach „oben“ und die Claysarks nach „unten“ entwickelt haben, Konflikt und Dominanz, das Ziel, den Feind auszurotten, wird niemals sterben. Frauen sind zu jeder Zeit in der Masse der minderwertige Teil der Rasse. Da helfen auch nicht die herausragenden Figuren wie Doros einzige Liebe; Mary als eigentliche Mutter der Patternists oder Alanna als eine Frau, die sich gegen Dogmen auf einer fremden Welt wehrt und den ersten Schritt geht.

 Trotz einiger angesprochener Schwächen, aber sehr vielen Stärken ist die „Patternist“ Serie das eindrucksvolle Frühwerk einer hochintelligenten damals noch jungen Frau, die sich ihre Nische im Genre erschrieben hat und von deren Mut, etwas Anders zu machen, noch viele Autorinnen und Autoren profitieren.

„Als der Seelenmeister starb“ ist Anfang und Ende einer interessanten Serie, die mit Eckpunkten des Genres wie Unsterblichkeit; Telepathie, Mutationen, First Contact und schließlich auch außerirdischen Bedrohungen spielt, sie einmal um sie selbst dreht und dann etwas emotional Provokatives präsentiert, das eine Neuentdeckung im 21. Jahrhundert mehr als wert ist.