Daedalos 14

Michael Siefener, Ellen Norten, Andreas Fieberg (Hrsg.)

Michael Haitel legt in seinem Verlag p.machinery nach dem „Deadalos“ Reader mit dem Besten aus den zwölf + Null Nummer Ausgaben des „Daedalos“ Magazin und der ersten neuen Nummer dreizehn einen weiteren Sammelband auf. Sowohl das Vorwort als auch die Tradition, alte Graphiken zu präsentieren wird beibehalten. Die drei Herausgeber Michael Siefener, Ellen Norten und Andreas Fieberg haben aus den eingesandten Geschichten sieben neue Texte ausgesucht. Robert N. Bloch präsentiert inklusive einer ausführlichen Autorenvorstellung einen heute vergessenen phantastischen Autoren.

 Kai Fockes „Das Traumbild“ ist nicht nur eine Hommage an H.P. Lovecraft, sondern gleichzeitig eine der kraftvollsten Geschichten dieser Ausgabe. Berlin, der zwanziger Jahre. Ein mittelloser Künstler, ursprünglich aus gutem Hause, lernt eine phantastische Frau kennen. Nach einer Liebesnacht will sie portraitiert werden. Nackt. Bei der Präsentation des Bild erhält er einen besonderen Auftrag. Mit spezieller Leinwand und besonderen Farben soll er den Traum malen, der er in der folgenden Nacht hat. Aber der Künstler träumt nicht nur einmal.

Mit wenigen zielsicheren Beschreibungen entwickelt Kai Focke die beklemmende und gleichzeitig verstörend süchtig machende Atmosphäre des dekadenten Berlins der zwanziger Jahre. Der Protagonist ist ein Getriebener, nicht sympathisch, aber über weite Strecken der Handlung zugänglich. Auch wenn der Leser die weiteren Abläufe des Plots bis zum Epilog ahnt, gelingt es dem Autoren, eine packende und vor allem auch intensive Geschichte zu präsentieren, die einem der Meister der Weird Fiction huldigt und trotzdem eigene Wege geht.

 In der Gegenwart spielen eine Reihe von Geschichte. Dirk Ryll eröffnet den vierzehnten „Daedalos“ mit „Ein Opfer“. Die Geschichte spielt in den Regionen des Tagebergbaus. Der Protagonist will mit seiner Familie eine Radtour machen und wird mit der dunklen Gegenwart des rheinischen Industriegebiets genauso konfrontiert mit seiner eigenen Vergangenheit. Dirk Ryll beschreibt die für viele Leser schwer einzuschätzende Lage in diesen von den gigantischen Baggern mehr und mehr zerfressenen Gebieten; den aufgegeben Dörfern und der immer unwirtlicher werdenden Natur. Die Pointe ist konsequent, auch wenn es wahrscheinlich tausende von Menschen gibt, die ein besseres Opfer abgeben könnten.

 Auch in „Fleischwerdung“ (Alexander Klymchuck) geht es in die freie Natur. Begleitend von zwei wirklich passenden alten Bildern beschreibt der Autor den Ausflug einer jungen Frau zusammen mit ihrem Bergführer in das Bermudadreieck der Wälder. Viele Menschen, ganze Gruppen sind in den letzten Jahren dort verschwunden. Die Reise ist interessanter als das ein wenig konstruiert erscheinende Ende. Es erscheint unwahrscheinlich, dass angesichts der Wegführung und der vorhandenen Technik nicht besser „gesucht“ worden ist. Auch das Finale wirklich cineastisch effektiv gestaltet, in sich aber nicht unbedingt logisch/ ausreichend. 

 „Reifezeit“ aus der Feder Michael Wyrwichs ist dagegen eine optimistische Geschichte. Einem jungen Straßenkünstler wird von einer geheimnisvolle Frau eine Goldmünze geschenkt. Der junge Mann will sie anfänglich nicht annehmen. In einem allen Klischees entsprechenden Antiquitätenladen inklusiv eines Raben wird ihm deutlich, welch ein besonderes Geschenk der Junge erhalten hat. In mehrfacher Hinsicht. Der Tonfall ist deutlich positiver als bei vielen anderen Storys dieser Anthologie. In sich geschlossen und nicht zwanghaft auf die Pointe hin steuernd spielt Michael Wyrwich auch mit der Erwartungshaltung seiner Leser und geht abschließend einen anderen, nicht weniger originellen Weg.   

 „Vorstellung“ von Uwe Durst ist eine dieser Miniaturen, die am besten wahrscheinlich als bösartiger Cartoon funktionieren könnte. Einem gelangweilten Agenten stellt sich ein neuer Zauberer vor. Die ersten Tricks begeistern nicht, bis der potentielle neue Klient ganz tief in die Trickkiste greift. Die finalen drei Showeffekte sind bizarr, frivol. Eine weitergehende Erklärung gibt es nicht, aber bühnenreif in dieser Form sind sie eher für ein sehr eng begrenztes Publikum.

 Ein Geisterhaus ist sehr populär in der Weird Fiction. Also präsentiert J.A. Hagen mit „Stoker“ ein entsprechendes Haus. Seit vielen Jahren verlassen zieht es immer wieder Obdachlose und Selbstmörder an. Auch der Heftromanschriftsteller Stoker wird von dem Haus angezogen. Früher ein Sensationsjournalist kann er nicht mehr schreiben, nachdem ein Serienkiller namens Lächler seine Jugendliebe umgebracht hat. Das Haus erweckt nicht nur diese Erinnerungen. Die Geschichte ist gut geschrieben, die Schockeffekte effektiv gesetzt und doch läuft der Plot am Leser ein wenig vorbei. Die Extrapolation mit dem sich selbst gerne bemitleidenden Journalisten/ Serienautoren bürgt sehr viel Potential. Im Haus selbst läuft vieles zu schnell ab und J.A. Hagen verzichtet auf weitergehende Erklärungen. Zum Verständnis und der oberflächlich vergnüglichen Lektüre sind diese auch nicht notwendig, aber wenn ein Autor versucht, dem Sujet des Haunted House nicht nur neue Impulse, sondern eine sadistisch ungewöhnliche Persönlichkeit zu verleihen, hätte J.A. Hagen den Hintergrund ein wenig besser ausarbeiten können oder besser müssen.

 „Oneiros“ (Horst- Dieter Radke) ist der Traum innerhalb eines Traums. Eine Frau sucht ein Haus auf, in dem sie der Bewohner Oneiros schon erwartet. Die Begegnung ist nicht zufällig, beide Seiten haben sie auf unterschiedliche Art und Weise erträumt. Die Geschichte ist mehr stimmungsvoll, atmosphärisch verspielt als plottechnisch packend.

 Carl Strugau ist das Pseudonym von Karl August von Schmidt auf Altenstadt. Nach seiner Militärzeit arbeitetet von Schmidt auf Altenstadt vor allem als Journalist. Sein literarisches Werk ist klein. Sein phantastisches Werk beschränkt sich auf zwei Bände mit Kurzgeschichten. Die „Unbegreiflichen Geschichten“ erschienen 1863 und 1864. Dabei ist der Rahmen klassisch, vielleicht aus der Sicht einiger Leser schon klischeehaft.  Eine Handvoll Reisende sind durch einen Unfall mit ihrer Kutsche in einem abgelegenen Gasthaus gestrandet und vertreiben sich die Wartezeit durch Erzählungen, wobei der Autor eine zynische Pointe bereithält. Im zweiten Band präsentiert Karl August von Schmidt auf Altenstadt eher konventionelle Geistergeschichten. 

 Der Titel „Zahn um Zahn“ verrät fast zu viel vom Plot. Einer der gestrandeten Reisenden berichtet von einer Geschäftsreise nach Wien und dem geführten Abstieg in die Katakomben. Dort finden sie unter den unzähligen Gebeinen den erstaunlich gut erhaltenen Leichnam einer jungen Frau. Der Erzähler löst einen Vorderzahn aus ihrem Kiefer als Andenken. Den Rest der gut erzählten, sich aber um eine bedrohliche Atmosphäre bemühenden Geschichte ahnt der Leser. Carl Strugaus Story gibt aber einen guten Einblick in die damalige Zeit mit ihren sozialen Verflechtungen, aber auch Verpflichtungen. Dank Robert N. Blochs ausführlichen Anmerkungen rundet sich das Bild ab.

 „Daedalos“ 14 ist wieder eine überzeugende Storysammlung, welche vor allem die Tradition Hubert Katzmarzs als Herausgeber des Magazins fortsetzt. Alle Geschichten sind stilistisch überzeugend geschrieben und bemühen sich um den Aufbau einer unheimlichen Atmosphäre. Platte Gewalt findet sich in keiner der Storys. Nicht jeder Plot ist rückblickend originell und machen bauen die Autoren ihre Inhalte auf einer Reihe von vorhersehbaren Klischees auf, aber „Daedalos“ ist damals wie heute einfach anders und verbindet die Weird Fiction nicht nur der Pulp Magazine mit in der Gegenwart spielenden, mindestens zufrieden stellenden bis überzeugend gut unterhaltsamen neuen Geschichten. 

DAEDALOS 14: Der Story-Reader für Phantastik

  • Herausgeber ‏ : ‎ p.machinery (26. Mai 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 88 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3957653371
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957653376
  • Lesealter ‏ : ‎ Ab 14 Jahren
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.81 x 0.53 x 25.5 cm
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