Mathilde

Karla Weigand

Mit „Mathilde- Marktgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa und Geliebte drei Päbste“ legt Michael Haitel einen weiteren historischen Roman über starke Frauen Karla Weigands vor. Während ihre populäre Reihe um die „Friesenhexe“ – Michael Haitel hat die Serie vom Heyne verlag übernommen – eine fiktive Figur vor einem historischen Hintergrund zeichnet, konzentriert sich die Autorin in diesem alleinstehende Roman auf eine historisch verbürgte Persönlichkeit, deren Leben sie in einer interessanten Mischung aus gut recherchierten Fakten und geschickter Extrapolation erstaunlich lebendig und dreidimensional niedergeschrieben hat.

Es ist nicht unbedingt notwendig, sich genau mit der Geschichte auszukennen. Diesen Hintergrund füllt Karla Weigand soweit notwendig über die Handlungen der wichtigsten Figuren hinaus auf. Aber der Leser sollte schon ein gewisses Verständnis für das Frauenbild der damaligen Zeit außerhalb der jeweiligen Stände aufbringen, um die ungewöhnliche Handlungsweise der Mathilde besser nachvollziehen zu können.

Historisch gesehen war Mathilde von Tuszien zu ihren dokumentierten Lebzeiten von 1046 bis 1115 eine der mächtigsten Adligen Italiens, unabhängig vom jeweiligen Geschlecht.  Mathildes Mutter – Gräfin Beatrix von Canossa und Tochter Friedrich, des II., sowie ihr Gemahl, aber der Stiefvater von Mathilde Herzog Gottfried, der III. haben die zwölf Jahre alte Contessa Gottfried, dem IV. zur Ehe versprochen und demnächst würde die Verlobung gefeiert. Dieses Verheiraten in jungen Jahren ist kein Novum und Karla Weigand ordnet es auch sehr neutral in den historischen Kontext ein.

Gottfried, der IV wird allerdings im Volksmund der Bucklige genannt. Hinzu kommt, dass es sich um den Sohn ihres Stiefvaters handelt und damit ihre Stiefbruder. Von Inzest kann natürlich nicht gesprochen werden, aber Karla Weigand macht deutlich, wie diese Ankündigung vor allem hinsichtlich eines Jungen, den sie seit vielen Jahren in einer anderen Rolle kennt, auf das junge, intelligente und vor allem auch entschlossene Mädchen gewirkt haben muss.

In erster Linie gilt diese Vermählung mit einem körperlich behinderten Jungen – neben dem Buckel ist auch das rechte Bein verkürzt – zum Erhalt der Pfründe, da Mathilde nicht erbberechtigt ist und die durch die zweite Heirat miteinander verbundenen umfangreichen Ländereien auf diese Art und Weise in der Familie behalten werden sollen.

Zwar kann Mathilde mit einigem Geschick die Ehe aufschieben, aber nicht verhindern. Im Jahre 1069 heiratete sie schließlich mit 23 Jahren den Buckligen. Es ist das letzte Lebensjahr ihres Stiefvaters. Ein Sohn kommt verkrüppelt zur Welt und stirbt kurze Zeit danach.

Diese Familiengeschichte nimmt einen wichtigen Teil des Romans ein, obwohl der Aufstieg Mathildes erst anschließend beginnt. Karla Weigand konzentriert sich – die Leser auch ein wenig manipulierend- fast ausschließlich auf Mathildes Perspektive und zeigt dadurch auch auf, dass sich ihr Charakter bildet und die Grundlage ihrer späteren Herrschaft bildet. Sie kommt aus adligem Hause und ist bis auf die arrangierte Ehe auch gewöhnt, ihren Willen zu bekommen. Das grenzt an Arroganz, ist aber hinsichtlich ihres Standes auch konsequent herausgearbeitet. Karla Weigand ist sich bei ihren historischen Romanen auch nicht zu schade, keine charismatischen Protagonisten als Identifikationsfiguren vor allem für historisch interessierte Leserinnen zu entwickeln, sondern durchaus dreidimensionale Protagonisten basierend auf den entsprechenden Fakten zu zeichnen, den Stärken und Schwächen, Sympathien wie Antipathien relativ neutral, an einigen Stellen fast schon distanziert gegenüber gestellt werden. Der Leser soll sich vor allem auf Augenhöhe der Handlung ein eigenes Bild nicht nur der Zeit, sondern vor allem auch der Figuren machen.

Dabei haben ihre weiblichen Figuren auch das Recht, vielleicht sogar die Pflicht, eigene Fehlurteile zu korrigieren. Nach dem Tod ihres Stiefvaters und ihres Sohns versöhnen sich die beiden Ehepartner und schließen eine Art Pakt. Gottfried, der IV. will keinen Sex mehr mit seiner Frau, die Ehe aber erhalten. Auf der anderen Seite soll sich Mathilde um Casossa- Tuszien kümmern, das Herzstück des gemeinsamen Erbes, während Gottfried, der IV. sich um seinen Stammsitz in Niederlothringen kümmert.  

Der Reiz der Geschichte liegt natürlich in der Hauptperson. Mathilde ist eine attraktive wie intelligente Frau mit einigen Ecken und Kanten. Sie ist an ein luxuriöses Leben gewöhnt, ohne dabei den klassischen Exzessen zu verfallen. Sie hat zumindest mit Einschränkungen auch einen gewissen Respekt ihren Untertanen gegenüber. Auf der anderen Seite ist sie auch eine Frau, die ihre Schönheit und damit auch ihre aktiv zur Schau getragene sexuelle Lust offensiv einsetzt, um ihre Ziele zu erreichen. In erster Linie den eigenen sozialen Status Quo in einem immer wieder auch durch Machtkämpfe zerstrittenen Europa zu erhalten. Dazu biedert sie sich als Geliebte auch der Kirche, bzw. den entsprechenden Päpsten an. Über das Verhältnis zwischen Kirche und Politik, Sex und Gelübte hat Karla Weigand schon in ihrem utopischen Roman “Der Pontifex” ausführlich geschrieben.  

Das mag aus heutiger Sicht frevelhaft erscheinen, aber Karla Weigand beschreibt diese Entwicklung als Teil der  politischen Veränderung. Ab 1080 stellte Mathilde ihre Soldaten, aber auch ihre Güter in den Dienst des Reform Pabsts und ihr Hof wurde zu einem Fixpunkt für Flüchtlinge, meistens aus politischen und religiösen Gründen.  Mit dem Rückzug Heinrich entstand zusätzlich in Italien ein Machtvakuum, das sie als Freiraum für die Emanzipation nutzen konnte.

Aber Mathilde stand nicht ganz alleine. Die Autorin versucht auch, den Einfluss ihrer Mutter beginnend bei der von ihr mit arrangierten Hochzeit über die politischen Geflechte bis zum Einfluss vor allem auf, aber auch mit der Kirche herauszuarbeiten.  Es ist schwierig, bei einem so vielschichtigen Charakter die richtige Balance zwischen schriftstellerischer Freiheit und historischen Fakten zu finden, aber wenn sich der Leser auf Karla Weigands Prämisse einlässt, wird er aus einer manchmal spürbaren Distanz solide mit ausreichend historischen Informationen unterhalten.

Wie in ihren anderen historischen Romanen versucht die Autorin sich den Figuren über die persönliche wie charakterliche Ebene zu nähern und integriert brutalere Szenen nicht um ihrer Selbst Willen, sondern als geschichtlichen Bestandteil. Das erfordert insbesondere im ersten Drittel des umfangreichen Romans auch Geduld vom Leser. Er muss sich wie die zwölfjährige Mathilde in diese Welt hineinarbeiten und sie akzeptieren, bevor sie kirchlich politischen Hintergrundelemente zu dominieren beginnen und Mathilde für sich alleine zwischen verschiedenen Fronten entscheiden kann und muss, was das Beste für ihr „Volk“ und vor allem auch für sich selbst ist.

„Mathilde“ ist das Portrait einer interessanten, heute eher unbekannten Frau, die ihren Mann in unruhigen Zeiten steht. Als Geschichtsstunde sehr lebhaft, als reine Biographie lesenswert und informativ.      

Karla Weigand
MATHILDE
Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa, Geliebte dreier Päpste
Außer der Reihe 87
p.machinery, Winnert, Oktober 2023, 372 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 358 1 – EUR 21,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 746 6 – EUR 7,49 (DE)