The Quarry

Iain Banks

Iain Banks letzter veröffentlichter Roman „The Quarry“ entstand während der Entdeckung seiner eigenen Krebserkrankung, an welcher der Autor Mitte 2013 verstorben ist. Viele Quellen sprechen davon, dass zumindest während der finalen Arbeit an dem Buch auch Eindrücke von Iain Banks Krebserkrankung eingeflossen sind. Die ursprüngliche Veröffentlichung ist auch auf Wunsch des Autoren vorgezogen worden. Alleine diese Fakten machen es schwer, das Buch zu besprechen. Für einen gesunden Menschen ist es unmöglich, sich in dessen Gedankengänge hinein zu arbeiten. Wer aber einen geliebten Menschen oder ein geliebtes Wesen an die heimtückische Krankheit vielleicht auch wie Iain Banks oder sein Charakter Guy in der Mitte ihres Lebens verloren hat, wird zumindest die Gedankengänge der mit diesem zeitlich vorhersehbaren Verlust konfrontierten Menschen verstehen können.

Ohne Frage ist „The Quarry“ eine intime Geschichte, in der es um das Übernehmen von Verantwortung genauso geht wie die Reflektion des eigenen bisherigen Lebens, das in Person des krebskranken Guys einer Handvoll Freunde, aber auch seinem heranwachsenden Sohn vor Augen gehalten wird. Es ist nicht unbedingt das Spiegelbild der gegenwärtigen britischen Gesellschaft, sondern viel mehr eine Auseinandersetzung mit den eigenen Idealen und den Möglichkeiten, sich entweder seine Träume auch unter finanziellen Opfern – Hol – zu erfüllen oder mit dem Strom zu schwimmen. „The Quarry“ ist ein Buch, dem man sich ausschließlich über die vielschichtigen, aber niemals kitschigen oder rein sympathischen Figuren nähern kann. Vielleicht ist der Roman auch deswegen leichter zu ertragen. Guy ist an Krebs erkrankt und über weite Strecken nutzt er diese Krankheit als eine Art Freibrief, seine Umwelt zu tyrannisieren und zu demoralisieren. Guy gehört nicht zu der Mehrheit der Schwererkrankten, die ihr Schicksal stoisch schweigend ertragen. Die weiterhin für ihre Mitmenschen da sind und schließlich still und heimlich sterben. Die nach ihrem Tod eine größere Lücke hinterlassen als man es zu ihren Lebzeiten erahnen konnte. Deren Stärke, ihr Schicksal in Würde ertragen, wahrer „Heldenmut“ ist. Aber Guy ist von allem das Gegenteil und trotzdem eine Figur, an der man sich nicht nur reiben kann, der mit seinen brutalen Wahrheiten gegenüber seiner Handvoll Freunde nicht nur recht hat, sondern als Sterbender das Recht hat, sie aufzurütteln, durchzuschütteln und teilweise als Abziehbilder ihrer Selbst zu entlarven, die  aus der Scheinwelt ihrer Jugend – Sex, Alkohol, Drogen und Filme selber drehen – in  die Illusion ihrer nicht selten beruflichen Existenz – Macht, Geld und Gier – geflüchtet und doch emotional leer geblieben sind.

Guy entlarvt ihre Suche nach dem fiktiven Heiligen Gral – ein Studentenfilm, der einige aus der Gruppe beschämen, anderen zumindest in der Theorie auf ihrem Weg nach oben schaden konnte – am Ende des Buches als Fiktion. Diese Suche ist vielleicht der rote Faden, der die einzelnen, nicht selten ausgesprochen gehaltvollen Szenen und Dialoge zusammenhält. Das erste Drittel von „The World´s End“ wirkt obwohl zeitgleich entstanden wie eine Kompression aller Thesen und Ideen, die Iain Banks in diesem ansonsten kompakten Roman so elegant und trotzdem manchmal oberflächlich angerissen, aber nur selten nachhaltig extrapoliert hat. Im Mittelpunkt der Handlung steht nicht der Krebskranke Guy, sondern sein Sohn Kit, der autistische Züge hat. Kit weiß nicht, wer seine Mutter ist. Guy hat dieses Geheimnis bislang für sich behalten. Inzwischen ist Kit kurz vor seiner Volljährigkeit, lebt von seinen virtuellen Spielen und ist heimlich in Guys ehemalige Freundin und Studienkollegin Hol verliebt Kit weiß nicht richtig, ob er erleichtert sein soll, wenn sein Vater gestorben ist oder Angst vor dem Tod haben muss. Dieser interessante und von Banks emotional behandelte Zwiespalt durchzieht die erste Hälfte des Romans. Da die ersten Szenen ausschließlich aus Kits Perspektive erzählt werden, relativiert sich dieser Eindruck erst mit dem Auftreten Guys. Kit ist allerdings auch kein normales Kind, das aus einer idyllischen, vielleicht kitschigen oder idealisierten Existenz mit dem frühzeitigen Sterben seines Vaters konfrontiert wird, sondern spätestens seit dessen Erkrankung und dem Aufhören zu arbeiten leben sie von der Sozialhilfe und dem Krankengeld. Das Haus ist eine Bruchbude, die immer mehr verfällt. Sie muss auch einer Neubausiedlung weichen. Die Baurarbeiten ruhen solange, bis Guys gestorben ist und das Haus abgerissen werden kann. Verfall umgibt Kit, der sich trotzdem einigermaßen solide eingerichtet hat. Aus seiner Scheuklappenperspektive ist er ein genauer Beobachter der Ereignisse und ist sich nicht zu schade, sich nicht unbedingt vom Schein blenden zu lassen, aber zumindest davon zu profitieren.

Hol als Kontrastpunkt ist eine immer noch attraktive Frau, die als Filmkritikerin unter anderem für „Sight & Sound“ eher schlecht als recht durchs Leben kommt. Wie sich später herausstellt, sind es freiwillig durch Spenden oder unfreiwillig durch Unterschlagung ihre Freunde und Kit, die ihr Leben finanzieren. Natürlich ist sie beschämt, aber ihren Beruf möchte sie nicht aufgeben. Dabei agiert sie als zynische „Giftspritze“, die jegliche Kommerzialisierung ablehnt. Ihre Kommentare zu einigen Filmen wie dem ersten Teil von „The Hobbits“ sind pointiert. Wie in dem Buch „The Film Club“ übernimmt sie mit ihren Vorschlägen einen wichtigen Teil von Kits Erziehung und versucht ihn, mit Klassikern auf das Leben vorzubereiten. Es sind diese Passagen, die warmherzig erscheinen und dem Buch ein positives Zentrum geben.

Um sich von Guys zu verabschieden und den einen Film zu suchen versammeln sich weitere Freunde in Guys immer mehr verfallenen Haus. Iain Banks hat mit ihnen den Versuch unternommen, die verschiedenen Strömungen des gegenwärtigen britischen Way of Life pointiert bis zynisch darzustellen. Dabei reicht das Spektrum von Drogensüchtigen immer auf der Suche nach dem nächsten Schuss über das ehemals verliebte Pärchen bis zum Rechtsanwalt und Möchte-gern-Politiker, der mit seiner Welt fremden Arroganz sich als potentieller Ministerpräsident entlarvt und es trotzdem in der Politik weit bringen könnte. Auch wenn die Figuren eher spärlich und nicht selten nur über die Gruppendynamik charakterisiert werden, entwickeln sie sich im Verlaufe der Handlung zu eigenen Figuren. Es ist vielleicht enttäuschend, das die obligatorische Abrechnung Guys mit ihnen quasi im „Off“ stattfindet und vieles nicht mehr ausgesprochen, sondern nur angedacht wird. Am Ende werden die Freunde Guys Haus nicht unbedingt weiser oder klüger verlassen, ihnen wird aber für einen Moment ein entlarvender, offener Spiegel ins Gesicht gehalten, der ihre Illusionen ankratzt, aber anscheinend nicht zerstört. Stattdessen erweisen sie sich überwiegend -. selbst Hol reiht sich schließlich in diesen Kreis ein – als Egoistischen, als Narzissten und Selbstdarsteller, die vor dem sterbenden Guy ein letztes Mal ihren Pfauentanz aufführen und aus dessen frühen Tod nichts lernen werden. Auf der anderen Seite ist der schwerkranke Guy auch ein schwieriger Charakter. Banks beschreibt die Hilflosigkeit, mit der sich der ehemals sportliche und sehr attraktive Mann durchs Leben schlägt. Ohne Sentimentalität, ohne Kitsch und schließlich auch ohne Reue. Wenn am Ende auch Guys vordergründig so abweisende Fassade bröckelt und ihn Kit zusammen mit Hol wieder nach Hause bringt – endgültig zum Sterben -, dann kann der Leser sich intensiv mit diesem vielschichtigen Charakter nicht nur auseinandersetzen, sondern dessen Ängste und Motive sehr viel besser verstehen. Am Ende ist es Guys langer Schatten, welcher die intime Handlung dominiert.  Auch die Erfahrungen mit der Pflege seines Vaters haben Kit reifer gemacht. Die Suche nach seiner Mutter, die ihn während der letzten Jahren gequält hat, wird relativiert durch die enge Freundin, die er gewonnen hat. Banks traut sich auch nicht, aus der in der ersten Hälfte so positiv heraus scheinenden Hol eine negative Figur zu machen. Ihr Lebensarrangement wird erweitert.

Wie angesprochen ist es schwierig, „The Quarry“ als Roman wirklich ausgiebig und vielleicht kritisch angesichts Banks Krankheit und seines frühen Todes einzuschätzen, zu würdigen und in seinem umfangreichen Gesamtwerk angemessen zu katalogisieren. Es ist eine intime Geschichte, die auf Kitsch verzichtet und deswegen anfänglich mit pointierten Dialogen aus einer spürbaren Distanz überrascht, bevor am Ende die Mauern nicht gebrochen, sie aber zumindest aufgeweicht werden.        

 

PublisherLittle, Brown
Publication date
2013
Media typePrint (Hardback)
Pages336 pp
ISBN978-1-4087-0394-6