Die Wächter- Licht und Dunkelheit Band 1

Die Wächter, Licht und Dunkelheit Band 1, Rezension, Thomas Harbach, Lukianenko
Sergej Lukianenko

Mit seinem Epos um die „Tag- und Nachtwache“ hat der russische Autor Lukianenko ohne Frage einen Meilenstein nicht nur der russischen Literatur, sondern des  phantastischen Genres geschrieben. Mit sanfter bis teilweise bissiger Ironie hat der Autor dabei immer auch ein Auge auf seine russischen Mitmenschen geworfen. Die insgesamt sechs Doppelbände haben sich dabei nicht selten ambivalent entwickelt. Nach einem sehr dynamischen Auftakt hat sich Lukianenko im Mittelteil nicht selten selbst zitiert, bevor er schließlich in einem interessanten, aber nicht wirklich überzeugenden und vor allem in sich logischen Schlussspurt die Geschichte seiner beiden Wachen und damit auch das Ringen um die Zukunft der Menschheit zu einem Ende, sondern eher wie an den Anfang gestellt hat. Mit dem allmächtigen Nachkommen verfügt der Autor über die Möglichkeit, eine gänzlich andere Zielgruppe anzusprechen und vielleicht sogar auf der „Harry Potter“ Welle zu reiten. Im Impressum wird ein zusätzlicher Co- Autor vermerkt. Da die Übersetzerin mit Christiane Pöhlmann gleich geblieben ist, lässt sich aus den teilweise drastisch anderen Erzählstrukturen ableiten, das Lukianenko mehr auf der Exposeebene eingegriffen hat. In der Vergangenheit wiesen vor allem alle Arbeiten, die hektisch oder überstürzt vom Russen niedergeschrieben worden sind, eine gewisse Oberflächlichkeit auf. Das größte Problem beim ersten Band dieser neuen Serie ist die Vertrautheit mit dem Hintergrund der Geschichte. Internets ggfs auch mit übernatürlich begabten, aber unter dem Finden ihrer Persönlichkeiten leidenden Schüler hat es immer wieder gegeben. Natürlich hat „Harry Potter“  in dieser Hinsicht einen erdrückend langen Schatten geworfen. Als erstes müsste sich ein Autor oder Autorenteam aus dieser Umklammerung befreien. In dieser Hinsicht hilft tatsächlich die melancholische russische Seele wie auch das in sich zerrissene Land. Aber nicht selten agieren die überwiegend unbekannten Protagonisten wie in einer Art künstlerischem Vakuum und die enge Verbindung zwischen der aus Lukianenkos Sicht zu verwestlichen und damit auch ein wenig verweichlichten russischen Bevölkerung und dem übernatürlichen Ringen in ihrer Mitte und doch irgendwie getrennt fehlt dem vorliegenden Roman gänzlich. Ein Konfliktherd ist alleine die Idee, dass der mit Mühe im Abschlussband der alten Serie geschlossene Friede durch eine Schule für Lichte und Dunkle gefestigt werden soll. Mit dem gemeinsamen Unterricht sollen die Unterschiede beseitigt und die beiden „Wachen“ im Grunde zusammengeführt werden. Damit wird aber ein nicht unbedingt religiös zu verstehender Aspekt der alten Serie negiert, denn nur durch die Gegensätze, durch die Kontraste und vor allem die sehr unterschiedlichen Aspekte können die beiden Wachen funktionieren und in diesem nicht beseitigten Ringen gegen einen auf den ersten Blick immer noch übermächtigen potentiellen Feind erfolgreich sein. Mit Dimitri Dreijer haben die beiden Autoren im Grunde ein interessantes Abziehbild einiger Protagonisten der ersten beiden „Trilogien“ geschaffen. Unter den Lichten ist Drejer positiv gesprochen durchschnittlich. Was ihn auszeichnet ist eine anfänglich eher oberflächlich beschriebene Gabe als Lehrer. Lukianenko deutet die Konflikte einer gemeinsamen Schule sehr gut an. Vor allem hat er auch die Idee, nicht nur mit der Exkursion nach St. Petersburg neue Reizpunkte zu setzen. In diesen wenigen Szenen schafft es der vorliegende Roman über den teilweise zu klischeehaften Jugendbuch und Coming of Age“ Rand hinweg zu schauen und das Land in die Handlung einzubeziehen. Interessant ist zusätzlich, dass mit dem Werwolf, einem Vampir oder einem europäischen Dschinn im Grunde „Kinder“ osteuropäischer bzw. asiatischer Traditionen in dieser Schule aufeinander treffen. Anstatt aber die implizierte Idee eines „Clubs der toten Dichter“ – selten war der Titel auch hinsichtlich der Mitglieder passender – geschickt zu extrapolieren und die Peter Weir Vorlage entsprechend anzupassen, versandtet diese Idee in der zweiten sehr viel phlegmatischer beschriebenen Hälfte. Alleine das Eintauchen in die reichhaltige Mythenwelt der beiden Wachen hätte ausgereicht, um den markanten Stoff – unter der Decke hängen anstatt auf Tischen zu stehen – mittels einer ehrerweisenden Parodie auf das  phantastische Genre umzuschreiben.       

Hinzu kommt der Konflikt hinter den Kulissen. Drejer wird schnell nicht nur zum Lehrer, sondern vor allem zu einer Art Oberaufseher angeblich schwer erziehbarer Wesen, was vor allem einer neu gegründeten Akademie widerspricht. Natürlich haben die Jugendlichen mit ihren Experimenten Grenzen überschritten und natürlich müssen sie von einer Lehrkraft positiv geführt werden, aber hier verfallen die beiden Autoren viel zu sehr in Schemata, die spannungsmindernd e auch klischeehaft gegen ihr Wissen von auch noch ominöse Organisationen/ Gruppen im Hintergrund ferngesteuert werden.   

Es gibt aber auch einen direkten Bezug zur ersten Serie, der vor allem in einem erwachsenen Ambiente besser abgehandelt worden wäre. Mit dem zerstörten Fuaran – einer Art Zauberbuch – könnten Menschen in Andere und vielleicht sogar Andere in Hohe verwandelt werden. Damit greifen die Autoren tief in den Hintergrund der Wachen und des Konflikts ein. Nur haben sie sich nicht auf die russischen Wurzeln beschränkt, sondern orientieren sie sich sehr stark an westlichen Vorbildern. Dazu reicht aber die vorhandene, leider klischeehaft entwickelte Handlung unabhängig von den wirklich ambitionierten und  vorhandenen Prämissen nicht aus. Immer wieder wird fast absichtlich von der in der Zerrissenheit des Landes angelegten Ausgangssituation abgewichen und das Potential der Akademie nicht gehoben.  Dazu kommen durch die Bank funktionelle Protagonisten, die selten aus ihrem Rollenverhalten ausbrechen können. Wenn schon bekannte Chiffren wie ein Werwolf oder ein Vampir genommen werden, dann sollte ein erfahrener Autor wie Lukianenko auch mit einem Coautoren diesen Figuren eigenständige Identitäten geben und die Vorbilder variieren.  Auch ist Drejer als Identifikationsfigur zu schematisch entwickelt. Ihm fehlt die träumerische Naivität Antons, der über sich hinaus wachsend in eine verantwortungsvolle Rolle geschlüpft ist. Zu stringent angelegt und unter Verzicht auf die teilweise Fugenstruktur der ersten Sammelbände passt auch der deutsche Titel zu wenig, denn echte Wächter sind nicht vorhanden.  Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Serie entwickeln wird, aber momentan ist „Die Wächter“ im Niemandsland zwischen den beiden Wachen wie ein Stiefkind des ganzen Universums.

 

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