Am Ende der Reise

Am Ende der Reise, Frank W. Haubold, Rezension
Frank W. Haubold

Auf sein Werk bezogen ist der Titel von Frank W. Haubolds „Best Of….“ Storysammlung irritierend. Für Neueinsteiger bieten die insgesamt zehn Geschichten einen sehr guten Beginn  einer phantastischen Reise in das Werk eines der stilistisch besten deutschsprachigen Science Fiction Autoren, der in den letzten Jahren teilweise auch gleichzeitig für Kurzgeschichte und Roman die wichtigsten inländischen SF Preise gewinnen konnte. Auch wenn sich Frank W. Haubold in den letzten Jahren unter anderem durch die „Götterdämmerung“ Trilogie im Verlag Atlantis als Romancier etabliert hat, liegt der Schwerpunkt seines langjährigen Werkes im Bereich der längeren Kurzgeschichte. Wie die Texte zeigen, ist er kein klassischer und damit vielleicht manchmal auch eingeengter Pointen Autor. Er braucht Raum, um seine Hintergründe zu entwickeln und die nicht selten tragisch komischen Protagonisten zu entwickeln. Auf der Suche nach einzigartigen Stimmungen gerät die Handlung manchmal in den Hintergrund, aber durch ihre Vielschichtigkeit, die Herausforderung an den Leser, eigene Positionen zu beziehen, überzeugen auch Texte, deren Grundideen vor allem aus heutiger Sicht nicht immer ausschließlich originell sind.  Ein stimmungsvolles Titelbild Crossvalley Smiths leitet diese Sammlung mit Kurzgeschichten aus der langen Schaffensperiode ein, wobei der Autor selbst seine Texte eher mit spartanischen Hinweisen einleitet.

„Das große Rennen“  aus dem Jahr 1999 wird von einem der bekanntesten Texte Rainer Maria Rilkes eingeleitet. Der Dichter wird auch eine gewichtige Rolle in seiner „Götterdämmerung“ Trilogie spielen, so dass sich zumindest impliziert auch ein kleiner Kreis in seinem Schaffen schließt.  Die älteste Geschichte der Sammlung  ist vielleicht auch der am einfachsten komponierte Plot der Sammlung. Frank W. Haubold zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der sich die Männer anscheinend in einem alltäglichen Wettkampf, einem Rennen durch gigantische Gebäude, beweisen müssen. Den namenlosen Protagonisten plagen Selbstzweifel, bis er schließlich nur bedingt aus diesem Käfig ausbrechen kann. Stilistisch noch sehr distanziert, zu sehr auf eine eher ambivalent geplante Auflösung hinzielend fällt die Wärme, welche viele andere Geschichten dieser Sammlung auszeichnet. Aber auch andere Texte in der Sammlung funktionieren nicht gänzlich zufrieden stellend. So versucht „Heimkehr“ den zugrunde liegenden Plot inklusiv der entsprechenden Pointe hinter einer Doppelung zu verbergen. Ein Wissenschaftler kehrt zurück, weil seine ehemalige Heimatstadt inklusiv seiner Forschungsstation unter einer unsichtbaren Glocke gefangen ist. Die Öffentlichkeit wird mit der Falschmeldung eines Atomunfalls ferngehalten. In Rückblenden erfährt der Leser einige wichtige Informationen und kann sich angesichts des Titels der Geschichte den weiteren Ablauf ohne Probleme ableiten. Haubold baut sehr viele interessante Ideen – die Glocke, der Meteorit, die Kommunikation – in den stringent zu lesenden Text ein, aber als Ganzes wirkt der Plot zu stark konstruiert und zu wenig vielschichtig. Es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob ein Ausbau zu einer Novelle geholfen hätte. Diese Frage ist schwer zu beantworten. Bei einigen anderen längeren Geschichten dieser Sammlung hätte eine Extrapolation des Plots ohne Frage geholfen, aber „Heimkehr“ krankt zu sehr unter seiner zu bekannten und inzwischen auch vom Genre in allen Variationen ausgeleuchteten Prämisse.

Nicht nur der Hinweis auf Bradburys „Der illustrierte Mann“ zeigt die Richtung auf, die Haubold in seinem ambitionierten Text „Odyssee in Rot“ – zwei Jahre später als „Das große Rennen“ veröffentlicht – eingeschlagen hat. Ein Team landet auf dem roten Planeten, als plötzlich der Funkkontakt zur Landekapsel abbricht und sich ein Mitglied der Crew in einem Bradbury Phantasieland voller Stimmungen und surrealistischer Hintergründe wieder findet. Ein seltsamer Mann lädt ihn zu einer noch surrealistischen Mission ein, die ihn wie in einigen der alten „Star Trek“ Folgen oder auch in den stärksten Bradbury Geschichten entweder zu einem Gott oder zu einem Teufel macht. Rückblickend ist das Ende vielleicht ein bemühter Kompromiss und der schwächste Teil der Geschichte. Ganz bewusst bleiben positiv gesprochen sehr viele Fragen offen und absichtlich zeichnet der Autor ein grellbuntes, so verträumt malerisches Bild, dem der Astronaut nach seiner langen Wanderung durch die rote Wüste begegnet. Träume sind Schäume, das Leben könnte nur aus Illusionen bestehen und die Wirklichkeit zeigt in den abgeschlossenen Seifenblasen seine hässliche Fratze. Aber diese wahrscheinlich symbolisch konzipierte Geschichte  kann ihr  ganzes Potential gar nicht haben, da zu viele Flanken offen bleiben und letztendlich der Leser wie der Astronaut sich eher an der Oberfläche dieser magischen Welt bewegt. 

„Die weißen Schmetterlinge“ spielt ebenfalls auf dem Mars. Aber diese Geschichte bildet zusammen mit „Der traurige Dichter“ ein ausgesprochen interessantes Duo, dessen melancholischen Grundton der Leser öfter in Frank Haubolds Schaffen findet. Eine Aspekte aus „Das Orakel“ und vor allem „Die Tänzerin“ lassen sich gleichfalls hinzufügen. Allen Geschichten gemeinsam ist es, dass es um die Verwirklichung von eigenen Träumen geht. Haubolds Protagonisten versuchen nicht selten, das im Leben versäumte im Alter entweder nachzuholen – „Der traurige Dichter“  oder unter allen Umständen noch einmal zu erleben – „Die weißen Schmetterlinge“ oder wie in „Das Orakel“ auf Umwegen ein Ziel zu erreichen, das sich später als unmöglich erscheint. Dabei gehen seine Figuren nicht immer den direkten Weg, aber der Autor arbeitet ihre Motive ausgesprochen gut heraus. Vielleicht empfindet der Leser vom ersten Moment an Sympathie mit diesen vom Leben gezeichneten, aber nicht gebrochenen Figuren. In dieser Hinsicht ragt ohne Frage „Die weißen Schmetterlinge“ heraus. Ein reicher Musikproduzent reist mit Dutzenden von beladenen Lastwagen auf dem Mars zu einem einsamen Krater, um einen Augenblick seines Lebens und damit auch seiner Liebe zu reproduzieren. Er weiß, dass es seine letzte Reise sein könnte, aber für diesen Moment möchte er es wagen. Dabei hat Frank W. Haubold Musikhistorische Ereignisse mit dieser Reise verknüpft. Nicht zum letzten Mal in diesen Texten gelingt es ihm, eine Art Generationenbrückenschlag zu beschweren und den nicht selten offensiveren, jugendlicheren Begleitern stellvertretend für den Leser die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen. Aufgrund der schon angesprochenen melancholischen Stimmung, der Vermischung von Fiktion und Fakten sowie den warmherzig, aber nicht kitschig gezeichneten Protagonisten ragt dieser Text aus der Sammlung heraus. Es ist unfair, den Musikproduzenten und „den traurigen Dichter“ gleich zu stellen. Beide Geschichte zeigen Menschen am Ende eines mehr oder minder erfüllten Lebens, wobei insbesondere der „traurige Dichter“ auch ein wenig an Frank Haubold selbst erinnert, der Respekt und Anerkennung für seine Arbeiten erntet, kommerziell aber niemals den richtigen Durchbruch geschafft hat. Hier enden aber schon die Gemeinsamkeiten, denn der „traurige Dichter“ muss sich in einer weiteren Hommage an Ray Bradbury mit seiner fiktiven Vergangenheit auseinandersetzen. Stimmungstechnisch der Geschichte „Die weißen Schmetterlinge“ ebenbürtig fehlt am Ende der Paukenschlag, so dass vor allem in der Aufeinanderfolge dieser beiden ansprechenden Texte der Gehalt von „Der traurige Dichter“ unverdient untergeht.

In „Das Orakel“ – der Abschluss dieser locker miteinander verbunden Texte – geht es ebenfalls um Wunscherfüllung. Ein Mann sucht seine erste Liebe wieder erstehen zu lassen, während die Forschung auf der Suche nach der perfekten künstlichen Intelligenz als Risikomesser für die Großindustrie ihm nicht bedingt einen Schritt voraus zu sein scheint. Nicht selten fasst Frank Haubold ganze Leben in seinen umfangreichen, komplexen, aber trotzdem gut zu lesenden Geschichten zusammen. Den Leitplanken von „Welt am Draht“ folgend entwirft Haubold nicht nur ein glaubwürdiges Szenario sowohl auf der geschäftlichen wie auch der privaten Seite, ihm gelingt es, dem Aspekt der künstlichen Intelligenz als Menschheitsersatz eine neue Variante zu geben und der K.I. eine Persönlichkeit zu geben. Da Frank W. Haubold niemals ein Vertreter der technischen Science Fiction gewesen ist, folgt er eher humanistischen Aspekten und versucht, beide Positionen dem Leser nahe zu bringen. Es ist ein schmaler Grat, Frankenstein zu spielen, aber ohne Vorverurteilung gewinnt diese nuanciert erzählte Geschichte vor allem im letzten Dritte an Tiefe und gleicht das ein wenig zu hektische, zu stark konstruierte und vor allem zu oberflächliche Auftaktkapitel sehr gut wieder aus.

 „Die Legende von Eden“  aus der gleichnamigen Anthologie Helmuth Mommers wirkt dagegen teilweise wie ein Expose, das sich als Kurzgeschichte tarnt. Wie kaum ein anderes Genre – vielleicht noch der Western – kann die Science Fiction durch ihre Themenvielfalt klassische Stoffe in ein neues Gewand kleiden – siehe Dan Simmons „Illium“ – und Geschichten zu Legenden erweitern. Das gleiche versucht Haubold auf den letzten zwei Seiten seines Textes, in welchem er unendlich viele Ideen zusammenrafft und seinen Lesern im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren schlägt. Hier kommen auch die Motive der Legende zum Tragen. Vorher schleppt sich die Geschichte über weite Strecken dahin. Kurz vor dem Ende des Textes kommen Leser, Protagonist und Autor die Erkenntnis, aus dem schuldbewussten „Protagonisten“ einen Helden zu machen. In Jack McDevitts „Die Legende von Christopher Sims“ wird das Heldenbild systematisch demontiert und die Wahrheit ans Licht gebracht, ohne abschließend dem Mythos Schaden zu können. Hier wird die Realität gründlich untersucht und eine böse Verschwörung ans Tageslicht gebracht. Die Folgen bleiben im Grunde im Dunkeln, da Haubold sich nicht mehr den Raum gibt, diese Erkenntnisse gründlich zu analysieren und als dramatische Erzählung zu präsentieren.
Trotz wirklich guter Ideen und einer schwächeren, aber gegen Ende der Geschichte deutlich besser werdenden Charakterisierung der einzelnen Figuren wirkt der Text zusammenhanglos und eher als Zusammenfassung und Textprobe für einen Agenten oder Verlag überzeugend. Vielleicht wäre es für Haubold sinnvoller gewesen, aus den am Ende der Geschichte zusammengefassten Ideen eine Episode zu einem vollständigen und eigenständigen Kapitel auszubauen und es seinen Lesern als Vorabdruck zu präsentieren.

 „Die Tänzerin“ weist eine klassische  Struktur  auf, die für seine Texte so positiv signifikant ist. Stilistisch sehr schön, sehr solide geschrieben, mit der richtigen Mischung aus wehmütiger Melancholie und grenzenlosem Optimismus leidet sie weniger unter den zumindest gut gezeichneten Charakteren als dem nach dem Anschlag vorhersehbaren Plot. Das liegt sicherlich auch an ihrer in Bezug auf die grundsätzliche Idee Ähnlichkeit zu der „Sternentänzer“ Trilogie des Ehepaars Robinson. Dabei soll nicht ausdrücklich impliziert werden, dass Haubold deren Idee adaptiert hat, er nimmt sich sehr viel, im Vergleich zur Länge der Geschichte im Grunde zu viel Zeit, um seine Hauptcharaktere ausführlich vorzustellen und den Leser mit ihnen vertraut werden zu lassen. Das Problem liegt dann allerdings im zweiten Teil der Story, in dem er aus seiner sehr guten Exposition zu wenig Nutzen zieht und der Idee des Tanzes bei geringer Schwerkraft zu wenig Ausdruck verleiht. Das eigentliche Ende des Plots hechelt der Autor auf zu wenigen Seiten durch, auch wenn er im Grunde nur bei der Vorgeschichte und dem Hintergrund eines kapitalistischen Russlands sich wirklich freischwimmt. Das fast kitschig zu nennende Pathos der Robinson- Trilogie erreicht der Autor mit seiner allerdings gut zu lesenden längeren Geschichte nicht.

 „Am Ende der Reise“ – ursprünglich in „Exodus 28“ veröffentlicht worden -  fällt in die Kategorie einer Suche nach dem Unbekannten. Ein Kapitän hat sich mit seinem Raumschiff von der Zivilisation in die Unendlichkeit im Grunde zum langsamen Sterben verabschiedet. Ob ihm seine Vergangenheit real oder als Visionen – hier spielt der Autor mit einer Hommage an Lems „Solaris“, ohne explizierte Erklärungen abzugeben - erscheint, bleibt offen. Der Verlauf und auch das Ende der Geschichte sind vorhersehbar, aber wie bei vielen Haubold Texten ist der Plot seiner stilistischen Begabung untergeordnet. Wie nur wenige gegenwärtige deutsche Science Fiction Autoren kann er eine einzigartig melancholische, aber nicht nihilistische Atmosphäre mit bodenständigen wie überzeugend charakterisierten Protagonisten erzeugen. Emotional ohne ins Kitschige abzugleiten erzählt er von dieser letzten Reise in die Tiefe des Alls. Dass ein Dialog mit einer künstlichen Intelligenz sich nahtlos in diese lebensmüde traurige Stimmung einreiht, unterstreicht Haubolds erzählerische Fähigkeiten.

Dagegen setzt der Autor  in “Das Paradies des Jägers”- Erstveröffentlichung in der Anthologie „Space Rocks“  die Idee der balladenartigen Novelle am konsequentesten um. Seine Geschichte ist ein geschlossener Kreislauf - sie beginnt und endet im ironisierten Paradies seiner Hauptfigur -, ohne das Leser und Protagonist wirklich weiß, aber sich das ganze Galaxien beeinflussende Geschehen wirklich abgespielt hat. Frank W. Haubold beginnt relativ bodenständig. Sein Jäger ist eine Art Spezialagent der Regierung, der nach einem der gesuchtesten Verbrecher “Mr. Echo” fahnden soll. Im Laufe seiner immer frustrierend wie gefährlich werdenden Suche wird “Mr. Echo” eine Gefahrenstufe hoch gesetzt und der Jäger erhält die Lizenz der sofortigen Tötung. Je weiter sich Haubolds anfänglich in seiner Existenz sicherer Protagonist vorarbeitet, desto mehr Zweifel kommen ihm. In dieser Hinsicht folgt der Autor den Zweckmässigkeiten des Genres. Er mischt einige Plottechnische Überraschungen in den Handlungsbogen, bevor er im letzten Drittel aus der bis dahin konsequent stringenten Space Opera eine Art philosophisch religiöse Exkursion macht, die biblische Geschichte mit der fernen Zukunft verbindet. Das Ende wirkt nihilistisch konsequent, auch wenn der Plot für einen ganzen Roman gereicht hätte. Wie bei einigen anderen längeren Arbeiten Haubolds wünscht sich der Leser eine entsprechende Erweiterung, um diese etwas überstürzten, aber stilistisch ausgesprochen gut geschriebenen Enden zu vermeiden. Potential ist ausreichend vorhanden und Frank W. Haubold ist ein zu guter Erzähler, um die sprachlichen Bilder nicht mit entsprechender Handlung auszukleiden. Eine nachdenklich stimmende, aber auch sehr unterhaltsame Novelle und gleichzeitig einer der besten Beiträge dieser Sammlung.

Die zehn hier gesammelten Geschichten aus wie eingangs erwähnt fast fünfzehn Jahren – viele sind für die wichtigsten Science Fiction Preise nominiert, einige sogar ausgezeichnet worden – geben einen vor allem thematisch guten Überblick über die Stärken Frank W. Haubolds, der gegen die kommerziellen Wege es nicht selten schafft, bekannte Versatzstücke der Science Fiction mit neuem Leben zu erfüllen. Viele der Storys sind am stärksten, wenn sie aus der Position der Altersweisheit, aber nicht unbedingt Altersmilde auf die Leben der dreidimensionalen Figuren zurückblickend und ohne zu mahnen auf die falsch gewählten Abzweigungen hinweisen. Vielleicht es dem Leser dieser nicht selten melancholischen, aber immer emotionalen Geschichten, das Haubolds Figuren zumindest die Möglichkeit haben, nach der zweiten Chance im Leben zu greifen. In erster Linie ist „Am Ende der Reise“ den Lesern zu empfehlen, die bislang noch nicht mit den Kurzgeschichten Frank W. Haubolds direkt oder indirekt in Berührung gekommen sind. Da die meisten Geschichten in bekannten Magazinen wie „Exodus“ oder den von Helmuth W. Mommers herausgegebenen Anthologien im „Shayol“ Verlag erschienen sind, werden Kenner der deutschen Kurzgeschichte die meisten Texte schon gelesen haben. In dieser konzentrierten Form zeigen sie aber sehr gut und positiv die roten Fäden, die sein Werk nachhaltig und immer wieder originell selbst mittels bekannter Szenarien durchziehen, auf.

 

  • Taschenbuch: 316 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (26. September 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 1517533538
  • ISBN-13: 978-1517533533