Gotham Noir 1: Kollateralschaden

Christian Humberg

Mit „Gotham Noir“ legt Christian Humberg eine neue anfänglich sechsteilige Krimi- Horrorserie vor, die er in einem Interview mit Carsten Kuhr auf www.phantastik-news.de als Mischung aus „Akte X“, „CSI: New York“ und „Das Modell und der Schnüffler“ charakterisiert. Die Serie ist den Auftaktband „Kollateralschaden“ betrachtet sehr visuell geschrieben. Auf knapp einhundert Seiten muss Christian Humberg nicht nur die wichtigsten Protagonisten einführen, sondern um die Spannung hoch zu halten einen ersten Fall andeuten. Das gelingt ihm nicht ganz. Insbesondere nach der langen ruhigen Extrapolation wirkt die zweite Hälfte nicht nur gedrängt, der Autor verlässt seinen guten Vorsatz etwas zu sehr, zumindest auf einer Ebene abgeschlossene Fälle zu präsentieren. Im Grunde bleiben alle Fragen offen und einer der Charaktere deutet an, das hinter der Begegnung mit einem bleichen Mann sehr viel mehr steckt, als es die bisher vorliegenden Informationen aussagen. Es wird sich zeigen, ob Christian Humberg die notwendige Balance aus einer im Hintergrund fortlaufenden, sich kontinuierlich aufbauenden Handlung und einzelnen Ermittlungen aufrechterhalten kann. Der Fokus sollte bei „Kollateralschaden“ für den Leser eher auf der Erarbeitung des Hintergrundes und der Einführung der Charaktere legen.

 

Herausragend aus dem ersten Band sind weniger die beiden Haupfiguren Sarah Dolan und Flynn Elliot, sondern der ebenfalls im Keller arbeitende Pathologe Quinceman, der sich in seiner Einsamkeit gestört fühlt. Auf der einen Seite erklärt er jedem, dass er auf keinen Fall als Sekretär für Sarah Dolan arbeiten will, auf der anderen Seite wirkt er wie eine moralische Stütze voller Exzentrik. Christian Humberg täte gut daran, solche einzigartig gelungenen Nebenfiguren verstärkt in die Handlung einzuführen, da seine beiden wichtigsten Protagonisten zu viele Klischees auf sich vereinigen und noch dreidimensionaler ausgebaut werden müssen. Sarah Dolan lernt der Leser kennen, als sie gerade einen Kollegen ihres neuen Reviers vor dem Selbstmord retten will. Während dieser einen perfiden Witz erzählt, stürzt er sich vom Dach. Sarah Dolan ist der Spross einer sehr langen und erfolgreichen Polizistenfamilie, die sei Generationen einem realistisch beschriebenen New York dient. Sie ist aber auch die erste Frau dieser Familie, die sich weniger um Kinder, Kirche und Küche kümmert, sondern eine eigene Karriere sucht. Diese scheint nach wenigen Stunden in ihrem neuen Revier zu Ende, da ihr Vorgesetzter sie ein wenig überzogen und von Christian Humberg nicht sorgfältig genug herausgearbeitet vor die Wahl steht: entweder sich degradieren zu lassen und wieder Streife zu gehen oder eine Versetzung vom 66. Polizeirevier quasi in den Keller ins Department 666.  Sie ist nicht nur attraktiv, sondern aufgrund des langen Familienschattens auch ehrgeizig. Zumindest im ersten Band bei der Begegnung mit ihrem neuen Arbeitsplatz neigt sie zu Selbstmitleid. Akzeptiert der Leser Humbergs Verweis auf „Die X- Akten“, dann wäre Sarah Dolan eine klassische Scully. Durch den Hinweis des Pathologen – hoffentlich baut Christian Humberg die Verbindung zwischen Elliot und ihm weiter aus- besucht sie aus Verzweifelung Flynn Elliot, den Besitzer des okkulten Buchladens „Gotham Noir“. Der Name Gotham ist die alte Bezeichnung New Yorks, die Washington Irwing für eine Stadt voller Snobs geprägt hat. Und Noir steht für Flynn Ellitos Nebenbeschäftigung als Detektiv. Natürlich weiß er erstens mehr über die seltsamen Vorfälle, die in der Abteilung 666 für die Ewigkeit zur „Bearbeitung“ dem Vergessen übergeben worden sind und zweitens ist er ein selbstsicherer, fast arroganter junger Mann. Das sich Gegensätze nicht nur in den zahllosen Buddyfilmen gleichgeschlechtlicher Partner anziehen, ist nichts Neues. Auch „Das Modell und der Schnüffler“ sowie „Die X- Akten“ spiegelten mehr oder weniger subtil mit Partnerschaften, die sich über die platonische Bewunderung hinter einer mehr oder minder dicken Mauer der explizierten Ablehnung kontinuierlich im Verlauf der Serie aufbaute. Auch im ersten Roman von „Gotham Noir“ sind diese Spuren schon erkennbar. Christian Humberg hat die nicht leichte Aufgabe, diesem bislang schon sehr zum Klischee verkommenden Subgenre neue Impulse zu geben. Für eine abschließende Bewertung ist es zu früh, aber überraschende Ansätze sind wenig zu erkennen. Zumindest ist die Zeichnung der beiden Hauptfiguren solide immer am Rande manchen Klischees entlang. 

 

Das Department 666 erinnert nicht zufällig an Mulders Höhle, wobei die Vorgesetzten dafür gesorgt haben, das die Kellerräume mit den alten Aktenschränken und dem abgenutzten Schreibtisch inklusiv knarrenden Stuhl so weit wie möglich von der Öffentlichkeit isoliert worden sind. Nicht einmal ein funktionierendes Telefon gibt es. Vom Computer ganz zu schweigen. Diese Akten werden per Hand transportiert und in den metallenen Aktenschränken dem Vergessen übergeben. Sarah Dolans ist auf den ersten Blick von dieser Sammlung unerklärlicher Kuriositäten angewidert. Als sie dann wider Willen ihren ersten Fall übernehmen muss – zwei Menschen begehen auf grausame Art in zwei dicht nebeneinander liegenden Straßen Selbstmord – folgt sie der zu offensichtlich angelegten Spur und gerät wieder in Gefahr. Das ihre Kollegen nicht gerade scharf darauf sind, die frisch „Supergirl“ getaufte Kollegin in Gefahr zu unterstützen, soll Spannung erzeugen. Das Sarah Dolan nicht gleich während des ersten Falls ums Leben kommt, ist dem Leser klar. Daher wirkt die teilweise Auflösung des Plots von „Kollateralschaden“ eher funktional denn befriedigend, deren Folgen werden wahrscheinlich in den nächsten Teilen abgehandelt.  

 

Titeltechnisch werden Batman Fans an Ed Brubakers unterschätzte Elsewhere Geschichte „Batman: Gotham Noir“ erinnert, aber Christian Humberg hat ohne Frage die Routine und schriftstellerische Fähigkeit, sich ein eigenes überzeugendes Universum zu schaffen. Im Vergleich zu den letzten unter dem Pseudonym Simon Borner verfassten „Professor Zamorra“ Hardcovern für den Zaubermond Verlag, in denen er von etablierten Figuren ausgehend mit verschiedenen Genres spielte und neue Impulse setzte, sucht der Autor in diesem Auftaktband noch eine Ballance. Der Fall ist zu knapp abgehandelt, während die Etablierung der handelnden Figuren gelungen, aber nicht gänzlich überzeugend ist. Wie schon angesprochen stilistisch ansprechend mit leichter Hand erzählt verfügt die Serie trotz der aus den angesprochenen Fernsehserien bekannten Versatzstücke über Potential, das hoffentlich in den nächsten Bänden gehoben wird. Der Fokus auf die Einführung der Charaktere und den „tiefen“ Fall einer ehrgeizigen Frau unter allerdings eher fragwürdigen Umstände kann die Saat sein, aus der eine überzeugende Serie entsteht.    

 

 

Ebook, Rohde- Verlag, 100 Seiten

Erschienen September 2013

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