"Lernen und Üben. Jahrelang." - Spoilerkritik zu Doctor Strange

SPOILER

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Doctor Strange Still

Die letzten Jahre hat uns vor allem eins gelehrt: Trailern kann man nicht trauen. Ein Großteil von ihnen hat das Blaue vom Himmel versprochen oder gar in zwei Minuten den Film so handlich zusammengefasst, dass man sich die Kinokarte hätte sparen können.

Was wäre dann bei Doctor Strange zu erwarten? Die Optik von Inception. Allerdings mit weniger Hans Zimmer; und noch einem Schuss Humor garniert.

Den Vergleich mit Inception wird sich Doctor Strange gefallen lassen müssen. Die Bilder sind nicht so innovativ, wie das Studio es gerne behauptet. Welten, die aus den Fugen geraten und jeder Physik spotten, gab es schon mehrmals im Kino zu bewundern. Marvel macht seine Sache hierbei gut, bietet aber keine bahnbrechende Neuerung. Auf der Leinwand wirkt es dennoch bildgewaltig, und dem einen oder anderen Zuschauer wird zu wünschen sein, dass er nicht zu Seekrankheit neigt. Gerade die Kaleidoskop-Effekte können in der 3D-Version hierzu beitragen.

Dafür dürfen wir Benedict Cumberbatch neu im Marvel Cinematic Universe begrüßen. Für die Rolle des Doctor Strange war er die erste Wahl, lehnte sie wegen seiner Verpflichtungen zu Hamlet zunächst jedoch ab. Wer den fertigen Film gesehen hat, wird Schwierigkeiten haben, sich vorzustellen, dass zum Beispiel Joaquin Phoenix als Alternative gedacht war. Denn Cumberbatch meistert nach kleinen Anfangsschwierigkeiten seine Aufgabe souverän. Zwar erinnert sein Spiel des Strange vor dem Unfall manchmal dann doch an Sherlock; dies kann aber durchaus daran liegen, dass sich die Charaktere ähneln. Talentiert. Hochintelligent. Sozial inkompetent. Aber dennoch selbstbewusst.

Leichte Anlaufschwierigkeiten

Hier hat der Film allerdings auch kleine Stolpersteine am Anfang parat. Marvel scheint auf Nummer sicher gegangen zu sein, anders sind die vielen Großaufnahmen von Stranges Händen nicht zu erklären. Akuter Notfall in der Klinik. Schnitt. Großaufnahme Hände. Kurzer Dialog. Schnitt. Großaufnahme Hände. Genialer Strange in gewagter Operation. Schnitt. Großaufnahme Hände. Damit auch wirklich jeder Kinobesucher versteht: mit diesen Händen wird gar Fürchterliches passieren.

Nach dem Unfall von Strange kann Cumberbatch dann auch zum ersten Mal seine Fähigkeiten ausspielen. Er zeigt ihn uns als einen gebrochenen Mann, der seine Lebensinhalt verloren hat und anderen die Schuld an seinem Zustand gibt. Dabei stößt er sein Umfeld so gekonnt vor den Kopf, dass man ihn am liebsten nehmen und so lange schütteln möchte, bis er wieder zur Besinnung gekommen ist. Stattdessen geht es los. Nach Kamar-Taj.

Mit dem Ortswechsel gibt es dann auch wieder kleine Startschwierigkeiten. Denn erstmalig bedient sich Doctor Strange hier an komödiantischen Momenten, die nicht so recht zünden wollen. Der Klopfwitz war nett, jedoch in die Länge gezogen. Dafür kennen jetzt alle künftigen Schüler in Kamar-Taj das Wlan-Passwort. Und Harry-Potter-Fans werden sich bei Stranges ersten Lektionen an Neville Longbottom in den ersten Besen-Flugstunden erinnern.

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Doctor Strange und das Auge von Agamotto

"All the single ladies. All the single ladies."

Dann aber läuft der Motor für den Film endlich rund, und der Zeitpunkt zum Zurücklehnen und Genießen ist gekommen. Man hat den Eindruck, dass die gesamte Darstellerriege sich warm- und vor allem aufeinander eingespielt hat . Locker lässt Cumberbatch die einstige Arroganz von Stephen Strange aufblitzen, und Benedict Wong als würdevoller Meister Wong entpuppt sich mit "Single Ladies" als kleiner Beyoncé-Fan. Hier schafft Doctor Strange es, dass eigentlich platte Gags zünden. Weil das Timing stimmt. Sogar im großen Showdown darf es dann sogar noch ein ordentlicher Schuss von Und täglich grüßt das Murmeltier sein. Der Schuss hätte nach hinten losgehen können. Aber allein die Varianten, die Cumberbatch hier mit seinem "Dormammu!"-Ruf in der Zeitschleife anbietet, sind das Sahnehäubchen in seiner Darstellung.

Über das Cape mit dem Eigenleben darf man geteilter Meinung sein. Es macht Sinn, dass es Strange führt, jedoch wirken hier ein paar seiner Einlagen leicht deplatziert. Denn Strange ist im Verlaufe der Geschichte so gut charakterisiert, dass man ihm die Tränen nach dem Tod von The Ancient One glaubt. Da wirkt das Cape, das ihm hilfreich die Tränen trocknet, fast so, als müsste das Drehbuch hier zwingend einen Comic Relief schaffen. Wo DC sich zu ernst nimmt, sollte sich Marvel manchmal dann doch etwas ernster nehmen und seinen Charakteren in schweren Momenten keinen Lacher bescheren.

Wie heißt doch gleich noch der aktuelle Schurke?

Ärgerlich ist die Verschwendung von Mads Mikkelsen in der Rolle des Schurken mit dem Namen, den man direkt nach dem Film wieder vergessen hat. Die Motivation für Kaecilius (vielleicht doch mal merken, könnte wichtig für Wer Wird Millionär sein) erschließt sich dem Kinobesucher nicht völlig. Ja, er ist sauer auf The Ancient One, weil er weiß, dass sie nicht komplett die Wahrheit sagt. Aber muss er dann gleich in diesen "Böse Welt. Muss sie alle töööööten!"-Modus verfallen? Bei Frauen nennt man so etwas schlicht Überreaktion.

Apropos. Über Tilda Swinton wurde anfangs viel diskutiert. Von Whitewashing-Vorwürfen war die Rede. Wer seine politische Meinung für die Dauer eines Kinobesuchs abstellen kann, wird mit einer gelungenen Darstellung von The Ancient One belohnt. Und mal ehrlich - die Szene, in der die Astralkörper von The Ancient One und Strange zum letzten Mal miteinander reden, wäre für einige vermutlich sehr befremdlich rübergekommen, hätte man diese Rolle mit einem männlichen Asiaten besetzt.

Das Ganze ist dann noch abgeschmeckt mit der üblichen Romanze. Leider ist diese doch undankbare Rolle dann Rachel McAdams zugefallen. Der einzig starke Moment von Christine ist der, in dem sie Strange verlässt. Alles andere wäre in der Szene nach den Beleidigungen allerding auch unglaubwürdig gewesen. Danach verkommt sie jedoch zu einem verliebten Mädchen, das Strange nach seiner Rückkehr anhimmelt. Zugegeben, Benedict Cumberbatch ist optisch in der Rolle durchaus sehr nett anzusehen - die hinterste Damenreihe in der Pressevorführung quietschte in der Oben-Ohne-Szene hörbar auf -, das entschuldigt aber nicht das Arschloch, das sein Charakter vor dem Unfall war.

Spaßiges lässt noch die erste Abspannszene vermuten. Damit ist klar, dass Doctor Strange seinen Auftritt in Thor: Ragnarok haben wird; und sein Verhalten lässt eindeutig darauf schließen, dass uns großartige Strange-Loki-Momente erwarten werden.

Fazit

Doctor Strange hat kleine Startschwierigkeiten mit den bereits bekannten Marvel-Schwächen. Danach läuft der Film aber unterhaltsam rund und kurzweilig und bietet dem Charakter einen gelungenen Start ins Marvel Cinematic Universe. Vor allem Benedict Cumberbatch hat sichtlich Spaß an seiner neuen Aufgabe, sodass wir auf seine künftigen Auftritte freuen können.

DOCTOR STRANGE Trailer 2 German Deutsch (2016)

Doctor Strange Poster
Originaltitel:
Doctor Strange
Kinostart:
27.10.16
Regie:
Scott Derrickson
Drehbuch:
Thomas Dean Donnelly, Jon Spaihts
Darsteller:
Benedict Cumberbatch, Chiwetel Ejiofor, Tilda Swinton
Dr. Stephen Strange ist ein Neurochirurg, der nach einem Autounfall seinem Beruf nicht mehr nachgehen kann. Er lernt bei einem Heiler in Tibet seine wahren Fähigkeiten kennen und wird zum mächtigsten Magier der Welt.

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