Kritik zu Unavowed: Ein Kurztrip nach New York inklusive Lokalkolorit, fantastischen Wesen und fiesen Entscheidungen

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(Eine Spielekritik von Gastautor Martin Katzorreck) 
Eigentlich ist die Faustregel simpel: Wenn man ein Herz für gut geschriebene Point-and-Click-Adventure-Games hat, sollte man einfach Augen, Ohren und Portemonnaie offen halten, wann immer es Anzeichen für ein neues Spiel aus der Indie-Game-Schmiede Wadjet Eye Games gibt. Vor allem wenn Studiogründer Dave Gilbert federführend ist, der ansonsten z.B. die großartige Blackwell-Serie schrieb, eine Reihe von Fantasy/Krimi-Adventures um eine zurückhaltende Geisterseherin und ihren frechen wie nützlichen Geistergefährten.

Nun ist „Dave Gilbert ist ein Genie, kauft einfach alles, was er macht!“ allerdings wohl eine etwas zu simple Herangehensweise an eine Spielekritik. Deshalb widmen wir uns nun lieber seinem frisch herausgekommenen neuesten Werk, dem Urban-Fantasy-Rundumschlag Unavowed.

Das New York der Hipster und Feen

Zu Beginn des Spiels dürfen wir zunächst den Hintergrund unserer Spielfigur festlegen (Geschlecht und einer von drei Jobs wollen kombiniert werden). Was schon mal ziemlich cool ist, da sich je nach Job komplett andere Dialogoptionen ergeben. Danach erfahren wir, dass unser Held ein Jahr lang von einem Dämon besessen war, der in ganz New York ein riesiges Chaos angestellt hat, und dabei wortwörtlich über Leichen ging.

Zum Glück wird unsere Hauptfigur von einem Geheimbund namens „The Unavowed“ gerettet und praktischerweise sucht dieser Bund gerade händeringend nach neuen Rekruten für seine Niederlassung in New York. So können wir dann auch gleich mithelfen, all die Schäden wiedergutzumachen und den fiesen Plan des Dämons aufzudecken.

Rasch taucht man ein in in ein wundervoll fantasiereiches New York, in dem das Übernatürliche stets nur einen Blick um die nächste Ecke entfernt ist: Einerseits ist die Stadt bevölkert von Hipster-Bagelbäckern und gescheiterten Bankern, doch jenseits des hübsch beobachteten Lokalkolorits erwarten uns natürlich auch allerlei fantastische Wesen, von netten Ex-Musen mit Faible für Poetry Slams bis hin zu abgrundtief fiesen Feen. Oh, und Roboter und Drachen gibt es auch (naja, eigentlich ist es ein Golem, kein Roboter, einigen wir uns also am besten auf „Automat“).

Willkommen im East Village! Unsere Spielfigur (Bildmitte) umgeben von den Unavowed-Veteranen Eli Beckett (links), einem 90-jährigen Feuermagier (Fähigkeit) bzw. Buchhalter (ehemaliger Beruf; beides wird im Spiel noch hilfreich sein), und Mandana, einer knapp 400-jährigen Halb-Jinn. (© Wadjet Eye Games 2018)

Abwechslungsreiche Missionen

Diese New Yorker Abenteuer werden uns häppchenweise präsentiert, mit immer einem anderen Stadtteil im Fokus. Die meisten dieser Kapitel sind in sich geschlossene Geschichten, allesamt kleine Juwelen der Erzählkunst mit wahnsinnig kreativen Einfällen und meisterlichen Dialogen. Auch das Gameplay bedient sich eindrucksvoll an den Möglichkeiten moderner Adventure-Games: Nach den ersten drei Kapiteln können wir aus mehreren Begleitern auswählen, wodurch dasselbe Rätsel auf komplett unterschiedliche Weise gelöst werden kann.

Ein Beispiel gefällig? Nun, um eine bestimmte Information zu bekommen, könnten wir unseren Geisterseher-Kumpel einen Geist befragen lassen (Sollten gerade Blackwell-Fans anwesend sein: Ja, Unavowed spielt im gleichen Universum, und wir treffen natürlich einige alte Bekannte. Und ja, besagter Geisterseher-Kumpel ist Rosas offizieller Nachfolger. Großartig, oder?). Gerade kein Geisterseher im Team? Kein Problem, unser Feuermagier-Begleiter kann alles lesen, was jemals verbrannt wurde (sobald wir wissen, dass es verbrannt wurde), vielleicht hilft das ja weiter.

Dazu sind alle Begleiter lebendig geschrieben und haben ihre ganz eigene Chemie zueinander, sodass sich wirklich keine Mission wie die andere anfühlen muss. Die meisten Rätsel lassen sich entsprechend in Interaktion mit unseren jeweiligen Begleitern lösen.

Natürlich wird auch viel geredet und hier profitiert das Spiel von einer fast vollständigen Vertonung durch passend ausgewählte und ungemein talentierte Sprecher. Nur unsere Spielfigur bleibt stumm, was ein wenig gewöhnungsbedürftig sein kann (gerade Wadjet Eye Games verwöhnte seine Spieler bis jetzt mit einer vollen Vertonung auch noch der unwichtigsten Objektbeschreibungen)

Ziemlich cool, so ein Eis-Palast über den Wolken. Nur leider ist der Besitzer dieses Grundstückes kein netter Zeitgenosse, weshalb die Aussicht nicht sehr lang genossen werden kann. (© Wadjet Eye Games 2018)

Entscheidungen mit Wirkung

Das wirklich beeindruckende an jedem Kapitel ist aber das Ende: Jede Geschichte endet mit einem Dilemma und das Spiel macht es uns nicht leicht, eine richtige Entscheidung auszumachen. Unsere Begleiter beleuchten, sofern es uns interessiert, stets gern beide Seiten der Medaille.

Wieder ein Beispiel: Sollen wir das Monster aus der anderen Dimension einfach töten, oder lassen wir zu, dass es sich an Menschenfleisch labt, um genug Energie für die Rückreise zu bekommen? Klar, es ist ein fieser Menschenfresser, aber es ist nicht freiwillig hier und will eigentlich nur zurück. Wer kann schon was für seine Essgewohnheiten? Aber was, wenn das Vieh mal zurückkommt? Welche Entscheidung wir auch immer treffen, so richtig sicher können wir uns nie sein, das Richtige getan zu haben. Allerdings erleichtern uns manche Entscheidungen das Spiel, da sich bei bestimmten Vorgehensweisen mehr Lösungsmöglichkeiten für spätere Rätsel ergeben können.

Fantasievolles Spiel mit kleinen Abstrichen

Natürlich ist nicht alles perfekt an Unavowed. Die Grafik ist wie für Indiegames oft typisch sehr zurückhaltend und somit eher ein Stichwortgeber für die eigene Fantasie. Und an zumindest einer Stelle (wen es interessiert: eine fiese Auseinandersetzung im nördlichen Wald) ist die Spielmechanik auch arg frustrierend, aber dafür gibt es mittlerweile ja Walkthroughs, die man notfalls konsultieren kann. Wobei Rätsel und Spielmechanik insgesamt immer fair bleiben und niemals die Logik überstrapazieren (wie gesagt, nur einmal im Wald kurz nicht), oder gar unrettbar in eine Sackgasse führen (was nicht heißt, dass unsere Spielfigur unsterblich ist; aber keine Sorge, längere Zeit nicht gespeichert zu haben ist kein Problem in Unavowed).

Ein hübscher Wald, den die Dryade links im Bild da unterhält. Blöd nur, dass sie nicht sehr freundlich ist. Der Chef der New Yorker Zweigstelle der Unavowed, der uralte Jinn Kalash, muss sich selbst kümmern. (© Wadjet Eye Games 2018)

Alles in allem versorgt einen Unavowed im ersten Durchlauf mit etwa zwölf bis fünfzehn Stunden Spielspaß, doch der wählbare Hintergrund der Hauptfigur und die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten der Begleiter sorgen locker für ausreichend Motivation zu mindestens zwei weiteren Durchläufen. Komplettisten der Steam-exklusiven Achievements dürfen gar sechsmal spielen. Wie fast alle Spiele von Wadjet Eye Games ist auch Unavowed sowohl in Text (alles, was gesagt wird, existiert auch als Untertitel) als auch in Ton nur auf Englisch zu bekommen. Dafür gibt es einen gewohnt informativen Audiokommentar mit Dave Gilbert und jeder Menge spaßiger Versprecher aus der Vertonung.

Zu bekommen ist das Spiel ausschließlich als Download, z.B. via Steam bzw. DRM-frei via Humble oder GOG. Weitere Infos dazu finden sich auf der offiziellen Seite.

Fazit

Hinter Unavowed verbergen sich meisterhafte Erzählkunst, tolles Gameplay und eine Liebeserklärung an die Stadt, die niemals schläft. Kurzum, wer sich für Adventure Games der alten Schule begeistert und der englischen Sprache mächtig ist, sei das Spiel ans Herz gelegt.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Wadjet Eye Games 2018

Unavowed launch trailer

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