Winniepesaukee – Kritik The Expanse 5.09

SPOILER

Nachdem Marco (Keon Alexander) und Filip Inaros (Jasai Chase-Owens) in der letzten Episode mehr oder weniger nur einen zweiminütigen Gastauftritt hatten, bekommen sie in “Winniepesaukee” wieder etwas mehr zu tun. Marco greift anscheinend munter und mit Erfolg UN-Transporter an und sowieso alles, was ihm nicht in den Kram passt.

Der Stolz über seine kleinen Siege verwandelt sich schnell in Wut und Frustration, als er erfahren muss, dass Naomi ihren Raumspaziergang überlebt hat. Nicht nur das, sie scheint auch Marcos elaborierte Falle erfolgreich zu sabotieren. Vielleicht haben er und sein Sohn wirklich erwartet, dass sich Naomi einfach gefangen setzen lässt und sich irgendwann der Familie sowie der Free Navy anschließt.

Filip reagiert äußerst emotional auf diese Neuigkeit. Für ihn und seinen Vater scheint es unvorstellbar, dass sich Naomi einer Umgebung entziehen möchte, in der Zwang, Kontrolle, physischer und psychischer Missbrauch mit Liebe verwechselt wird.

Recap auf der Razorback

Auf der Razorback gibt es weiterhin nicht viel zu tun. In der letzten Episode wurde den Zuschauern noch nicht auf die Nase gebunden, was Naomi (Dominique Tipper) genau unternimmt, um sich selbst und ihre möglichen Retter vor dem mit Sprengstofffallen verkabelten Raumschiff zu schützen. Diese undankbare Aufgabe kommt Bobbie Draper (Frankie Adams) und Alex Kamal (Cas Anvar) zu. Beide lassen noch einmal Revue passieren, was Naomis mittlerweile abgeänderter Hilferuf bedeuten könnte.

Dieser Dialog wechselt sich mit Szenen auf der Rocinante ab, wo Holden (Steven Strait), Monica Stuart (Anna Hopkins) und Bull (José Zúñiga) im Grunde dasselbe Gespräch führen. Der Inhalt kommt etwas ermüdend daher, die Parallelmontage der beiden Szenen sorgt aber immerhin für etwas Dynamik, selbst wenn sich die beiden Raumschiffe nicht wesentlich vorwärtsbewegen.

Naomis und Caminsa Überlebenskämpfe setzen sich fort

Naomis Handlungsbogen wirkt wie eine kleine Fortsetzung der letzten Episode: Dieses Mal muss sie Eis von einem Rohr kratzen, um sich zumindest etwas hydrieren zu können – Wasser- und Sauerstoff beziehungsweise der Mangel dieser beiden grundlegenden Elemente im Weltraum, die der Mensch so dringend zum Überleben benötigt, waren stets wichtige Bestandteile und Themen von The Expanse, und die Serie verliert sie nie aus den Augen beziehungsweise greift immer wieder darauf zurück.

Die Dynamik innerhalb Camina Drummers (Cara Gee) Crew bleibt weitestgehend unverändert. Camina wirkt jedoch immer resignierender, als hätte sie sich selbst, ihre Familie und ihre Unabhängigkeit längst aufgegeben. Nur später kommt es zu einem verständlichen Gefühlsausbruch, als sie merkt, dass Oksana (Sandrine Holt) aus Angst vor Marcos Vergeltung immer mehr faule Kompromisse eingeht. Vielleicht hofft sie sogar wirklich auf Marcos Vision einer besseren Gürtler-Zukunft, die auf Krieg und Terror basiert.

Karal (Olunike Adeliyi) scheint im Gegenzug ihre Rolle als neue Machthaberin über diese sich windende Piraten-Besatzung geradezu zu genießen, insbesondere wenn es darum geht, den letzten Widerstand aus Camina herauszupressen.

Schusswechsel am See Winniepesaukee

Regisseur Breck Eisner wählt sehr schöne erste Kamera-Einstellungen beziehungsweise sogenannte “establishing shots“ des gesamten Gebiets rund um den See Winniepesaukee. Die düsteren Bilder des Shuttles, mit dem die Gruppe um Clarissa (Nadine Nicole) und Amos (Wes Chatham) von der Erde fliehen wollen, lassen schon vorausahnen, dass es eine zentrale Rolle in dieser Episode spielen wird.

Die Vorstellung, dass sich die Reichsten unter den Reichen hier in der Zukunft vom Plebs abschotten und ein eigenes Raumschiff in der Garage stehen haben, mit dem sie notfalls von der Erde fliehen können, wirkt gleichzeitig absurd und absolut plausibel. Dass der Antrieb des Schiffes quasi das gesamte Grundstück in Schutt und Asche legt, erscheint dagegen nicht unbedingt praktisch.

Während dieses Shuttle repariert werden muss, kommt es zwischen einzelnen Individuen zu vorhersehbaren und dennoch abwechslungsreichen Reibereien. Amos steht quasi zwischen Erich (Jacob Mundell), der alles und jeden außerhalb seines Vertrauenskreises zurücklassen möchte, und Clarissa, die Amos’ moralischen Ersatzkompass darstellt. Zu einem gewissen Maße repräsentiert Erich sein altes Leben auf den Straßen Baltimores, in dem es für Amos überlebensnotwendig war, kein Mitleid und keine Menschlichkeit zu zeigen. Clarissa, die wesentlich privilegierter aufgewachsen ist, repräsentiert sein neues Leben, in dem hilflose Zivilisten vor den Stärkeren geschützt und gerettet werden müssen.

So gesehen, ist es nur konsequent, dass Clarissa die brenzlige Situation mit der inseleigenen Privatpolizei entschärfen möchte, bevor es zu mehr unnötigen Toten kommt. Es handelt sich eventuell nicht um die klügste Entscheidung, andererseits hätten bei einer verfrühten Konfrontation auch Menschen sterben können, die für die Reparatur des Shuttles und die Erdflucht essentiell sind. Ihr späteres Plädoyer, dass es wichtig ist, eine Menschengruppe wachsen zu lassen und Individuen nicht nach ihrem Nutzen für die Allgemeinheit zu bewerten, wirkt vielleicht etwas naiv. Die Episode entschärft diese pathosgeladene Rede jedoch mit einer Prise Humor, als Clarissa  Erich kleinlaut eröffnet, dass sie eigentlich eine dreifache lebenslange Haftstrafe wegen Mordes absitzen müsste.

Nachdem die letzten Episoden es etwas ruhiger haben angehen lassen, sorgt die gut inszenierte Actionsequenz für willkommene Abwechslung. Lange Kamerafahrten und wenig sichtbare Schnitte, die Regisseur Eisner hier ebenfalls nutzt, sind mittlerweile ein beliebtes und nicht unbedingt neues Mittel, um solche Actionszenen zu inszenieren. Trotzdem wirkt es nicht minder spannend, effektiv oder mitreißend.

Politischer Widerstand auf dem Mond

Die Episode zeigt nicht den Angriff auf die Gürtler-Stationen, der in der letzten Episode im UN-Kabinett besprochen wurde, sondern nur die Fernsehbilder und die Reaktionen der Zuschauer. Das kann selbstverständlich Budget-Gründe haben. Vielleicht möchten Regisseur Breck Eisner sowie  Daniel Abraham, Ty Franck und Naren Shankar, die drei Autoren dieser Episode, eine generelle Aussage zu diesen Gegenschlägen machen: Angriffe dieser Art, denen vermutlich auch Zivilisten zum Opfer fallen, haben bestenfalls einen symbolischen Wert für die Fernsehkameras und um den Publikum Zuhause ein Gefühl der Befriedigung und der Genugtuung zu verschaffen.

Der Preis dafür besteht im schlimmsten Fall darin, dass der Nährboden für die nächste Terroristen-Generation vorbereitet wird, wie Chrisjen (Shohreh Aghdashloo) in einer leidenschaftlichen Rede vor dem restlichen Kabinett anmerkt, die leider weitestgehend auf taube Ohren stößt. Dass der UN-Generalsekretär seine Gegenschläge für objektiv-rational und nicht emotional motiviert hält, wäre fast schon lachhaft, wenn es nicht so traurig wäre.

Aber auch Chrisjen ist sich der Macht politischer Symbolik bewusst: Sie und die anderen Kabinettsmitglieder treten sicherlich aus moralischen Gründen zurück, allerdings hat ihr Rücktritt auch weitreichende Konsequenzen für den amtierenden UN-Generalsekretär. Christjens Familie hat nie eine große Rolle in der Serie gespielt und infolgedessen ist es schwierig, ihren schmerzhaften Verlust nachzuempfinden. Die Trauer um ihren Ehemann muss Schauspielerin Shohreh Aghdashloo mehr oder weniger allein auf den Schultern tragen und transportieren. Dieses Manko kann die Darstellerin allerdings ganz wunderbar wieder ausgleichen, und die Inszenierung der holografischen Gedenktafel wirkt noch einmal unterstützend, um diesen traurigen Moment zu verkaufen: Die Kamera fährt nach oben und zurück, lässt sie fast schon klein und einsam zurück, während sich der Name ihres Ehemannes zu den vielen anderen gesellt.

Interessanterweise bleibt die Beziehung zwischen Chrisjen und Admiral Delgado (Michael Irby) auch nach dem unfreiwilligen Machtwechsel weiterhin warm und freundschaftlich. Es handelt sich um einen politisch klugen Schachzug, ihm einen Platz in ihrem Kabinett anzubieten. Dieser lehnt selbstverständlich ab und gibt sich hochmütigen Fantasien hin, in denen er Marco Inares schnappt, auch wenn er an Chrisjens Seite wahrscheinlich mehr ausrichten könnte.

Fazit:

Nachdem die letzte Episode einige Schwierigkeiten hatte, alle Handlungsstränge zu jonglieren, gelingt dies “Winniepesaukee“ etwas eleganter. Auch wenn die gesamte Sequenz auf der Erde und die dort stattfindende aufregende Actionszene im Mittelpunkt stehen, lassen Autoren und Regisseur den übrigen Figuren ebenfalls genügend Zeit, um die eine oder andere Handlung fortzuführen. Wahrscheinlich wird aber erst in der letzten Episode wirklich Schwung in alle Storylines kommen.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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