Die geheimnisvolle Box - Kritik zu Star Trek: Picard 1.06

SPOILER

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Star Trek Picard Folge 106

Nicht nur der Folgentitel kündigt Geheimnisvolles an. In der sechsten Folge von Star Trek: Picard: "Die Geheimnisvolle Box" werden die beiden Haupthandlungsstränge endlich zusammengeführt. Der englische Titel verrät hier wieder etwas mehr: “Impossible” scheint zu sein, was “Robogirl” Soji feststellt. Picard und seine Crew hingegen begeben sich auf Tour in das Innere des Borgwürfels. Und eine weitere Neuerung gibt es in dieser Woche: Nach einem Doppelpack Jonathan Frakes als Regiechef gibt dieser den Staffelstab an Maja Vrvilo ab, das Drehbuch stammt vom Haus- und Hofschreiber Nick Zayas, der uns bis zum Staffelende begleiten wird. Die sechste Folge gönnt sich mit immerhin knapp 50 Minuten ein klein wenig mehr Laufzeit, die der Erzählung auch recht gut zu Gesicht stehen.

Unsubtile Fragestunde

Wie wir es bereits beim Podcast zur vorigen Folge vermutet hatten, wagt sich Star Trek: Picard zumindest kurz in horrorähnliche Gefilde vor: Die kindliche Soji tapst des Nachts bei Gewitter im Nachthemd durch den elterlichen Flur, nur um in das offenbar geheime Labor ihres Vaters/Erschaffers zu stolpern. Leider hat sich die Erinnerung zwar festgefressen, ist aber nur schematisch abrufbar, so dass sie sofort wieder erwacht - wer kennt das nicht, gerade wo es spannend wird, wacht man auf. Doch dazu kommen wir später.

Erst einmal darf Soji in den Morgenstunden in ihrem Quartier mit Narek Löffelchen spielen. Dieser gibt sich bei seiner Fragestunde wenig subtil, aber vielleicht ist Soji ja auch nur zu müde, um aus Sätzen wie “Ich muss alles über dich wissen” herauszuhören, dass Narek mehr als nur Frischverliebten-Neugier antreibt. Nun denn, um ihn zu beeindrucken, spult sie erst einmal ihr angelesenes (oder eher: upgegradetes) Romulaner-Wissen herunter: Narek hat nämlich noch einen weiteren Namen, der nur der inneren Familie vorbehalten ist. Ist vielleicht gut zur Vertrauensbildung, aber ganz ehrlich - bei all den Namen blickt so langsam niemand mehr durch. Ich bete, dass sich dieser wenigstens halbwegs merken lässt. Vergeblich, wie wir am Ende der Folge wissen. Aber bei den Romulanern scheint einfach irgendein Silbengenerator angeworfen zu werden das passt dann wohl schon.

team picard 2

Nareks Frage, ob Sojis Träume echte Erinnerungen oder nur Hirngespinste sind, ist vielleicht für das Fortkommen der Story interessant, aber jeder, der schonmal irgendwie geträumt hat, wird hier seinen Fernseher anschreien: Woher soll Soji, die gerade vor allem an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln beginnt, das denn in diesem Moment wissen? Genau so funktionieren Träume, die vermischen schonmal Unterbewusstsein mit Realität - manchmal kann ein bekloppter Traum einem sogar schonmal den Tag versauen. Ein bisschen Mitdenken wäre hier angebracht, Spitzohr! Immerhin werden die beiden Lovebirds ein wenig warm miteinander, so dass ich laaangsam bereit bin, deren Liebe auch zu kaufen. Oder zumindest das wenigstens oberflächliche Interesse von Narek an dem Robo-Girl.

Auch im Team Picard, wie wir es der Einfachheit halber mal nennen, wird etwas rumpelig herumgefragt: Jurati gibt nochmal Maddox’ offizielle Krankenakte wieder (Herzstillstand) und darf wenigstens ein bisschen was von ihrer Trauer dabei sehen lassen. Wieso allerdings niemals wieder auf das abgeschaltete Medizinhologramm eingegangen wird - hm. Offenbar kommt Jurati damit einfach durch, aber hoffen will ich es nicht. Das wäre dann doch deutlich zu einfach.

Elnor, der in dieser Szene wie ein nerviger Teenager neben den Erwachsenen steht, fällt hier als irgendwie unpassendes Crewmitglied auf, indem er überflüssige Fragen stellt. Wie jeder echter Krieger legt er dabei das Schwert niemals ab, falls mal jemand verteidigt werden muss oder jemand eine frische Stulle braucht. Aber hat die Figur auch eine echte Funktion? Picard ruft ihn später zur Ordnung, dass er gefälligst auf seinem Zimmer, äh, auf dem Schiff bleiben soll, aber wer hält sich schon daran, was einem Erwachsene sagen?

Locutus of Borg war nie ganz weg

Dr. Jurati darf indes nochmal von Locutus von Borg erzählen, und ersetzt damit netterweise eine schnelle Google-Suche - allerdings ist die Szene relativ unnötig, denn direkt im Anschluss kriegen wir dasselbe nochmal gezeigt, wenn Picard, der in seinem neuen Lieblingsrückzugsort, dem Holo-Chateau, endlich auch mal die Datenbanken des Schiffes zur Recherche nutzt, erneut nachschlägt, wie das denn damals nochmal war.

Immerhin gibt es hier die wunderbare Möglichkeit, durch die Darstellung des halbdurchsichtigen Holo-Screens mit nur einer einzigen Einstellung die ganze Geschichte zu erzählen. Picard und die Applikationen im Gesicht als Locutus, kurze, sekundenlange Schnitte zeigen die offensichtlich schmerzhafte Prozedur der Borg-Werdung, die Picard tief in sein Hirn verbannt hat. Stewart zeigt hier noch einmal, wie viel man mit wenig Worten sagen kann.

Vertrau dem Christobal

Was Frakes nicht sehen wollte, hat die neue Regisseurin schon ganz richtig erkannt: Rios’ Qualitäten als empfehlenswertes Boyfriend-Material werden in dieser Folge besonders hervorgehoben. Wer bereits in den vorigen Folgen ein gewisses Knistern zwischen Jurati und Rios erspürt hat, wird nun belohnt: Mc Dreamy, der (ohne Shirt) ein paar Bälle kickt, und Jurati kommen sich näher. Ich weiß noch immer nicht, was ich von diesem Love Interest halten soll, Christobal hat auf dem Schiff auch nicht gerade viel Auswahl, aber die beiden scheinen sich gut zu verstehen. Rios darf auch den Seelendoktor spielen: “Wie fühlst du dich jetzt”? dürfte hiermit als offizieller Anmachspruch aller Weltraumpiloten gelten.

Kästchen, öffne dich!

Das eigentlich titelgebende Objekt, das natürlich viel mehr ist als das, hält Narissa in den Händen: Eine tatsächlich geheimnisvolle Box, die aussieht wie ein romulanischer Zauberwürfel und wohl auch genau das ist. Sie ist, wie jede gute große Schwester, einfach und ohne anzuklopfen in Nareks Quartier gestürmt und kramt in seinen Sachen. So langsam kaufe ich diese Geschwistersache tatsächlich ein wenig mehr, nur hätte man hier auch die alberne Eifersuchtsszene lassen können. Wenig subtil unterhalten sie sich schließlich über ein bestimmtes Stück Mechanik, das eben nicht nur Spielzeug für Narek, sondern auch Werkzeug bzw. Waffe für wen auch immer ist.

team picard

Hinein in den Würfel!

Team Picard hat sich mit Raffis Überredungskunst einen Diplomatenpass verschafft. Picards “Ich habe mir dazu mal ein paar Gedanken gemacht…” als Einwurf kommt hier so verspätet, dass es nur noch witzig ist. Stattdessen nutzt das Team alte Verbindungen. Allerdings musste dafür die ohnehin schon angeschlagene Raffi, die wieder ohne Scham trinkt und raucht, eine Freundschaft opfern. Wer auch immer Emmy nun genau ist, ich will mehr von den beiden sehen. Schön, hier mal eine echte Frauenfreundschaft gezeigt zu bekommen (Raffi nennt sie immerhin “Babe”, das dürfte schon mehr als eine entfernte Nachbarin sein, die man mal zum Kuchenessen einlädt.)

Wie Jean-Luc nach Erbettelung des notwendigen Passes Raffi beklatscht: Wow, Empathie muss er echt nochmal im Duden nachschlagen. Auch als die Fanfare ertönt, ist das Cockpit eher leer als voller jubelnder Menschen. Irgendwie war das mal anders, JL. Merkste selbst, ne?

Tief getroffen von der nun gekündigten Freundschaft zieht sich Raffi zurück, Rios ist auch hier der emotional zugängliche Psychodoc, der sich um sie kümmert. Tatsächlich hat Raffi offenbar niemandem von ihrem Sohn erzählt, hier tut sie es zum ersten Mal Rios gegenüber, so verletzlich ist sie. Gut, sorum kann man die Figur auch erzählen. Jetzt funktioniert es tatsächlich und ich bin kurz davor, mich zu Raffi ans Bett setzen zu wollen.

Zurück zu Agent Soji: Nareks Recherche hat sie misstrauisch gemacht. Die tägliche (!) Facetime-Verabredung mit ihrer “Mutter” läuft nicht, wie sie soll, und Soji räumt ihre spärlichen Kindheitserinnerungen aus. Was sonst bei Mama im Keller lagert, passt bei dem Robo-Girl in eine bunte Lunchbox (Netter Verweis zu ST:Voyager mit den “Adventures of Flotter”, die es mittlerweile zu ihrer eigenen Merchandise-Reihe geschafft haben) und scannt deren Alter.

So ein Scanner wäre schon sehr praktisch, denke ich beim Gucken, wenn man mal den einen oder anderen Beleg für die Steuer zuordnen muss, oder wenn man wissen will, ob die Einkäufe noch gut sind. In Sojis Fall geht das Ganze eher schlecht aus, denn sie stellt fest, dass sie laut Scan gerade mal drei Jahre alt zu sein scheint. Verständlicherweise steht sie damit kurz vorm Nervenzusammenbruch.

Picard Hugh

Wiedersehen mit Hugh

Picard trifft nun nach länglicher Vorbereitung endlich auch im Borg-Kubus ein, und ich liebe einfach die Wandgestaltung der sich ineinanderschiebenden Würfel, die wie ein merkwürdiges Uhrwerk aussehen. Es wispert, sirrt und bitzelt, und Picard leidet auf einmal unter heftigen Locutus-Flashbacks. Nötig ist das nicht, angenehm ist das sicher auch nicht, aber nun.

Gute Gelegenheit, sich mal um die Bauweisen dieser Evil Machines Gedanken zu machen, denn tatsächlich gibt es dort immer irgendwelche Abgründe, die ins tiefste Nichts reichen. Aber wieso bauen die Borg (und alle anderen dunkeln Maschinenwesen in diesem Genre) überhaupt so? Die Gefahr, in irgendeinen Spalt zu fallen, ist ja tatsächlich sehr real und die Wesen zu kostbar. Aber gut, die Borg sind ja auch nicht Experten für “Schöner wohnen”, vielleicht ist es tatsächlich irgendwie effizienter, so zu wohnen.

Eine besondere Freude ist es, den Auftritt von Hugh (Jonathan del Arco) zu beobachten - und die erste echte herzliche Umarmung von Picard. Mit del Arco kehrt noch ein Ex-TNG-Darsteller in die Serie zurück, was mich ehrlich freut. Hugh hat sich zum Chef der Rückgewinnungsstation hochgearbeitet, erweist sich allerdings auch nicht als kreativster Namensgeber: xBs für Ex-Borgs, naja gut. Er redet Picard auch nochmal ins Gewissen, dass er die Angst vor Locutus ablegen solle, “das ist alles sehr lange her” - nun, so lange nun auch wieder nicht, denn auf irgendeinem Flur wird er tatsächlich kurz erkannt. (“Locutus, bist du’s?”) Für derartige Scherze sind wir doch hier!

Wie sich herausstellt, ist Hugh sich durchaus bewusst, dass Narek als nicht sehr subtiler Spion auf seinem Artefakt herumspukt. Aber weiß er auch von Narissa? Oder dem Plan mit Commodore Oh?  Wieso schmeißt er die Spione nicht einfach raus? Oder verletzt er damit irgendwelche Nutzungsverträge, wie Picard sie erwähnte? Mit wem wurde dieser abgeschlossen, und was passiert, wenn man ihn bricht?

Narek Soji Picard

Escape Room Date mit Narek

Narek zeigt ihr den geschützten Raum, der allerdings nicht abhörsicher ist, um mit ihr zusammen den Traum zu kapern. Vorher erfahren wir noch den echten Namen von Narek (Hrai Yan), doch wozu das gut sein soll, keine Ahnung, Vielleicht bonding. Aber Soji hat dafür gerade keine Zeit, sie ist nun endgültig der personifizierte Philip- K.-Dick-Roman, dessen Träume man inceptionmäßig kapern kann. Sie lernt mit Nareks Hilfe ihr Unterbewusstsein zu modifizieren, um zu sehen, dass sie eine Art Pinocchio zu sein scheint - Holz hätte ich hier als letztes erwartet. Spannende optische Darstellung auf jeden Fall, mal was anderes.

Außerdem kommt sie offenbar von einem Planeten mit zwei Monden. Nun gut. Irgendwie wäre Maddox zu kapern und auszufragen einfacher gewesen, aber es gibt sicher… Gründe dafür, es so zu machen. Dramaturgische vor allem, nehme ich an.
Als er sie schließlich im Raum allein lässt (und den Würfel, der nicht nur eine Art feinmechanischer Spieluhr, sondern auch eine Waffe ist, oho) bei ihr, wird sie durch ein Gas betäubt - muss noch jemand an bestimmte Kriegstötungsmethoden denken?

Muss man das so darstellen? Zwar aufregender als einfach wegpennen und gelöscht werden, aber das war doch etwas sehr heftig. Es reicht aber aus, um Soji in den Kampfmodus zu versetzen, mit dem sie das schöne Parkett zerlegt. Picard kann Soji schließlich aufspüren und mit ihr in eine Art geheimem Kraftfeld fliehen, während Hugh und Elnor als letzte Wache vor dem Sturm wütender Romulaner zurückbleiben. Und hier bekommt Elnor endlich mal den Actioneinsatz, für den er sich hier angestellt hat. Es darf munter drauflosgeköpft werden.

Hoffentlich sehen wir die beiden bald relativ unversehrt wieder. “Meine Freunde, wählt bitte das Leben!” lautet der letzte Satz, den wir hier von Elnor hören. Das scheint sich auf Nepenthe abzuspielen, wie auch der Trailer für die gleichnamige nächste Folge zeigt.

Und hier treffen wir endlich, endlich auch auf Riker. Ich bin gespannt.

Fazit

Die Folge bot relativ stringente Action an den richtigen Stellen, ein wenig Herzschmerz, Sex und Tröste-Rios an anderen. Dass die Fäden zusammengeführt wurden, wurde auch Zeit. Picard selbst jedoch bleibt weiterhin recht passiv - wie auch in den Folgen zuvor schickt er seine Crew gern voraus, um auszukundschaften oder vorzufühlen, Dass er, wie in Raffis Fall, auf persönliche Freundschaften nicht wahnsinnig viel Wert legen kann, verstehe ich sogar. Ein mitfühlendes Wort wäre hier aber nicht falsch gewesen. Picard braucht vielleicht wirklich dringend den Riker-Charme als Hilfestellung.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© CBS All Access / Amazon Prime Video

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